„Die Legende von der Selbstentzauberung der Rechten ist naiv“, sagt Martin Dulig

Die Parteien müssen lernen, wie sie mit der NPD umgehen. Und die Politik muss aufhören, die Antifa zu denunzieren

taz: Herr Dulig, sie verhandeln für die sächsische SPD mit der CDU über einen Koalitionsvertrag. Haben Sie sich schon geeinigt, wie sie mit der NPD im Landtag umgehen wollen?

Martin Dulig: Wir sind uns einig, dass wir etwas tun müssen und stimmen zurzeit unsere gemeinsame Strategie ab.

Initiativen gegen rechts sagen, dass die etablierten Parteien überhaupt nicht wüssten, wie sie mit Rechten umgehen sollen. Sind sie hilflos?

So hoffnungslos ist die Situation nicht. Es stimmt aber leider, dass ausnahmslos allen demokratischen Parteien Wissen für den Umgang mit den Rechten fehlt. Der erste Schritt war, zuzugeben, dass das Problem Rechtsextremismus existiert. In Sachsen wurde lange Zeit so getan, als wäre das ein Märchen. Besonders Kommunalpolitiker waren hilflos und haben die Gefahr verleugnet oder verniedlicht. Nach der Landtagswahl ist das vorbei.

Sollte der Landtag die unerfahrenen NPDler mit Verfahrenstricks vorführen? Oder immer das Parlament verlassen, wenn ein Rechter redet?

Beides wird nicht passieren. Das Verlassen der Landtage ist abgedroschen und Verfahrenstricks geben den Rechten nur die Möglichkeit, sich als Betrogene aufzuspielen. Wir werden nichts Hysterisches tun. Stattdessen begegnen wir den Rechten nach den parlamentarischen Spielregeln – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Sie sollen merken, dass wir mit ihnen nicht auf Augenhöhe reden. Das trifft sie.

Wird es eine inhaltliche Auseinandersetzung geben?

Natürlich. In ihrem Wahlprogramm fordert die NPD beispielsweise das Abschaffen des Fremdsprachenunterrichts. Das wird die Partei erklären müssen. Und zum Zweiten brauchen wir eine Skandalisierung. Alle Parlamentarier müssen klar machen, dass diese Partei nicht in unseren Wertekontext passt. Sie ist weder normal noch demokratisch.

Sie wollten doch nichts Hysterisches tun.

Was ist daran hysterisch, zu zeigen, dass diese Partei Verbindungen zu Schlägertrupps hat? Die Ideologie der NPD ist menschenverachtend und ihre Führer fordern laut und deutlich das Ende der Bundesrepublik.

Entzaubern sich die Rechten nicht selbst?

Diese Entzauberung ist eine gefährliche, naive Legende. Das wird nicht passieren, denn die NPD-Leute hier in Sachsen sind keine dummen Jungs. Die wissen, was sie wollen, und die wissen auch, wann sie welche Dinge sagen können. Außerdem haben über neun Prozent die NPD gewählt. Diesen neun Prozent müssen wir eine Antwort auf die Fragen geben, die sie an die Demokratie haben. Alles andere wäre arrogant.

Ein Fünftel der Jungwähler hat NPD gewählt. Stimmt die alte These noch, dass ein großer Teil der Mitte rechtsextreme Ansichten billigt, sich aber nicht traut, dies auszusprechen? Stattdessen tut es die Jugend?

Sie stimmt in dieser reinen Form nicht mehr, weil auch ältere Menschen sich inzwischen offen zu rechtsextremen Inhalten bekennen. Was stimmt, ist, dass die Gewalt und der aktive Widerstand gegen das verhasste BRD-System eine Sache der Jungen ist. Die Jugend ist also noch immer radikaler als die Älteren. Aber die Inhalte werden hier von der gesellschaftlichen Mitte stark vertreten. Schließlich haben ganze Dörfer für die NPD gestimmt.

Sind diese Orte dann abgekoppelt von den anderen drumherum. Gibt es quasi eine rechte Parallelgesellschaft?

Nein, diese Orte sind ebenso in das normale Leben integriert wie es auch die neuen Köpfe der NPD sind. Die Partei hat einen Imagewechsel hinter sich, sie ist nach außen sanfter geworden, um ihre alten Milieus verlassen zu können. Das hat sie auch geschafft.

Was muss in diesen Orten passieren? Brauchen Initiativen gegen rechts mehr Geld?

Das wäre natürlich schön, aber Geld ist nicht alles. Viel wichtiger ist aber, die Arbeit dieser Initiativen endlich anzuerkennen. Zu oft werden antifaschistische Gruppen von Behörden und Politikern in die linksextreme Schmuddelecke gestellt. Kaum ein bekannter Politiker mit Ausnahme von Wolfgang Thierse lobt die Arbeit dieser Gruppen. Die Bürgermeister in den Dörfern müssen die Initiativen gegen rechts stützen anstatt in ihnen Störenfriede zu sehen. Und in den Schulen muss mehr passieren. Bisher ist die Schule in Sachsen ein absolut unpolitischer Raum. Viele Lehrer trauen sich nicht, politisch Position gegen rechts zu beziehen, weil sie nicht wissen, wie sie mit rechten Schülern umgehen sollen.

Sie haben in Schulen gegen Rechte argumentiert. Haben Sie jemals einen bekehrt?

Es geht nicht darum, zu bekehren. Bei der Arbeit in den Schulen sind drei Gruppen zu unterscheiden: der rechtsextreme Kern, die Mitläufer und die Schüler, die nicht rechts sind. Auf die letzten beiden Gruppen kann man sich konzentrieren, und da gibt es auch Erfolge. Die erste Gruppe ist die am wenigsten zahlreiche. An sie kommt man meist nicht mehr heran. Aber mir ist lieber, es läuft ein Rechtsextremer herum und ich habe dafür zehn andere Schüler vor dieser Ideologie bewahrt.

Kann man den rechten Kern durch starken Druck der Polizei einschüchtern?

Das mag sein. Aber ich halte diese Täterfixierung generell für falsch. Wir sollten uns weniger um die Rechten kümmern und viel mehr die unterstützen, die versuchen, etwas gegen sie zu tun. INTERVIEW: DANIEL SCHULZ