Untersuchung nach Massentod in Thailand

Mehr als 80 Tote durch Ersticken nach Ausschreitungen zwischen Polizei und muslimischen Demonstranten. Thailands Premier räumt „einige Fehler“ ein, verteidigt jedoch das Vorgehen der Sicherheitskräfte. Muslime fürchten Eskalation

BANGKOK taz ■ Nach schweren Ausschreitungen zwischen Sicherheitskräften und muslimischen Demonstranten mit mehr als 80 Toten in der thailändischen Südprovinz Narathiwat hat jetzt das Justizministerium heftige Vorwürfe gegen Polizei und Armee erhoben. Etwa 78 der Opfer kamen ums Leben, weil sie nach ihrer Festnahme in völlig überfüllte Armeelaster gepfercht worden waren, in denen sie auf der Fahrt zum Verhör stundenlang ausharren mussten. Das hat die wohl bekannteste Pathologin Thailands, Dr. Pornthip Rojanasunan, bestätigt. Ein Armeekommandeur hatte ausgesagt, dass für die mehr als 1.300 Festgenommenen nur vier Lastwagen zur Verfügung gestanden hätten. Darüber hinaus wurden mindestens sechs Demonstranten bei den Ausschreitungen erschossen, drei weitere Leichen fanden Einsatzkräfte in einem nahe gelegenen Fluss.

Unterdessen hatte Thailands Premier Thaksin Shinawatra „einige Fehler“ beim Vorgehen der Sicherheitskräfte eingeräumt. Er versprach, die Vorfälle untersuchen zu lassen, wie es Menschenrechtler gestern einforderten. Grundsätzlich aber verteidigte der populistische Regierungschef den Einsatz. Polizei und Soldaten seien moderat gegen die Randalierer vorgegangen, so Thaksin. Noch kurz vor der offiziellen Bekanntgabe der Todesursache hatte er die Folgen des Ramadan-Fastens für die hohe Opferzahl verantwortlich gemacht: „Ihre Körper waren geschwächt, niemand hat ihnen etwas getan.“ Fragen, wer für die hohen Opferzahlen verantwortlich sei, wiegelte er ab.

Die Festnahmen waren nach gewaltsamen Protesten von rund zweitausend Demonstranten in Narathiwat erfolgt. Sie hatten vor einer Polizeiwache in Tak Bai die Freilassung von sechs Inhaftierten gefordert. Diese waren beschuldigt worden, mutmaßlichen Aufständischen Waffen verkauft zu haben. Muslimische Kreise im benachbarten Malaysia sprachen gestern von einem „Holocaust“, für den sie die Thaksin-Administration verantwortlich machten. Kritiker merkten süffisant an, dass die Regierung mehr als 24 Stunden gebraucht habe, um die Anzahl der Toten bekannt zu geben.

Die muslimischen Führer in den drei weiterhin unter Kriegsrecht stehenden Südprovinzen Narathiwat, Yala und Pattani werfen den Sicherheitskräften völlig überzogene Reaktionen vor. Sie fürchten einen Flächenbrand in der Region. „Das alles wird noch weiter eskalieren, und keiner weiß, was als Nächstes passiert“, zitierte Thailands Tageszeitung Bangkok Post Abdullahman Abdulsomat, den Vorsitzenden des Islamischen Komitees in Narathiwat.

Nideh Waba von der Vereinigung der privaten Religionsschulen warnte vor noch blutigeren Unruhen durch mögliche Selbstmordattacken. Die Stimmung im Süden bleibt angespannt: Gestern demonstrierten Studenten gegen die Festnahme der rund 1.300 Protestler. Viele von ihnen waren maskiert; sie wollten unerkannt bleiben, weil sie Übergriffe durch die Militärs fürchteten. Die jüngsten Vorfälle sind die schlimmsten seit dem 28. April dieses Jahres. An jenem Tag waren etwa 107 junge Muslime, die mit Macheten und Messern bewaffnet waren, von der Armee getötet worden.

Ohnehin fühlen sich die mehrheitlich moderaten Muslime im Süden Thailands als Sündenböcke für Bangkoks verfehlte Politik. Immer wieder haben Kritiker der Regierung vorgeworfen, die Probleme ignoriert zu haben. Einen einheitlichen Ansatz, die Gewalt in den Griff zu bekommen, gibt es nicht. Seit die Attacken Anfang Januar dieses Jahres ausgebrochen waren, sind mehr als 400 Menschen ums Leben gekommen. Darunter waren Sicherheitskräfte ebenso wie buddhistische und muslimische Zivilisten. Martialische Maßnahmen wie die Verhängung des Kriegsrechts wechselten ab mit Geldversprechen an muslimische Gemeinden, was dazu dienen sollte, den Autoritäten vor Ort Informationen über mutmaßliche Hintermänner zu liefern. NICOLA GLASS