Das Ende aller Konsumträume

Drogeriekönig Anton Schlecker ist einer der reichsten Männer der Welt. Seinen Angestellten stellt er nicht einmal ein Telefon hin, weil er ihnen nicht traut. Heute wird er 60. Na, herzlichen Glückwunsch!

Die Läden sind billig, voll gestopft und gefährliche Orte für die Beschäftigten

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Es gibt keine Homestorys über diesen Mann. Er lebt zurückgezogen in Ehingen, wo ihn auch niemand näher kennt. Und der Bürgermeister der Gemeinde legt Wert auf die Feststellung, dass es da „keinerlei Kontakte“ gebe. Dabei zahlt Anton Schlecker nicht schlecht Steuern, muss man vermuten, denn er hat es vor zwei Jahren immerhin auf Platz 143 der Forbes-Liste der reichsten Männer der Welt gebracht: 1,8 Milliarden US-Dollar Privatvermögen. Auch davon hat in Ehingen noch niemand etwas gemerkt. Anton Schlecker ist geizig. Aber weil er so viel besitzt, ist das nicht geil. 60 Jahre alt wird er heute, öffentliche Feiern sind nicht angekündigt.

Es gibt nichts zu jubeln, Schlecker ist überall. „SCHLECKER“ in Weiß auf Blau über 13.000-mal in Deutschland, Österreich, Spanien, Frankreich und der Schweiz. Orte mit mehr als 1.500 Einwohnern müssen „jederzeit damit rechnen“, dass er zu ihnen kommt – so beschreibt er seine Politik selbst. Und wenn es irgendwo wieder einmal so weit ist, gibt es erst recht keinen Grund, zu feiern. Schleckers Laden ist der Beweis dafür, dass es nun auch hier arme Leute gibt. Sie gehen dorthin, weil sie sogar an den Dingen sparen müssen, von denen sie nicht so gerne reden. Klopapier zum Beispiel, Windeln, Zahnbürsten, Scheuermilch, Putzlappen, Abführmittel, Fußbäder und Kräutertees gegen Herzbeschwerden.

Der Mensch ist von Natur aus ein bisschen schmutzig. Schlecker ist ein Saubermann, und bei ihm ist es am billigsten, „preisberühmt“, sagt er. Nur kann man das nicht leicht nachprüfen, weil er seine Läden immer dort aufmacht, wo jemand anders aus der Branche aufgegeben hat. Dann zeigt Schlecker allen, was „billig“ wirklich bedeutet: Mit den Preisen ist es nicht getan. Der Laden selbst ist billig, er riecht schon danach. Immer steht ein Stapel leerer Kartons an der Tür, aus der der süßliche Geruch einer soeben desinfizierten öffentlichen Toilette strömt.

Es ist kein Ort des Einkaufens. Wer hier hineingeht, leidet an einem Bedürfnis, das der natürlichen Notdurft gleicht. Es muss sein, ist aber kein Vergnügen. Nie schleichen mehr als fünf Menschen durch die Regale. Sie wollen nicht, dass jemand sieht, was sie suchen. Aber gerade das ist kaum zu vermeiden. Es ist eng, wortlose Bitten um Verzeihung sind nötig, um in die hinteren Regionen vordringen zu können. Jeder Zentimeter kostet Geld, das Schlecker spart. Dicht gedrängt stehen die Kekstüten, Dominosteine und Schokoriegel neben dem Babypuder und dem Fußbalsam. Falls zwischen den Regalen doch irgendwo ein größerer Platz frei geworden ist, sind dort Sonderangebote aufgebaut. Haarwaschmittel in fünf Farben für 1,99 Euro. Oder Haarbürsten oder spanischer Sekt.

Ständig plappert aus Fernsehern unter der Decke eine Dauerwerbung für Schleckers Produkte vor sich hin. Kein Mensch hört zu, hier enden alle Träume des Westens. Die Waren, die hier stehen, sind keine Fetische mehr, nur Dinge mit Preis. Selbst der Platz, den sie zum Aufstellen brauchen, ist zu teuer.

An Menschen ist schon gar nicht zu denken. Menschen kosten viel zu viel Geld. Nur selten gibt es mehr als eine Verkäuferin an der Kasse. Dass sie dennoch freundlich ist, Fragen beantwortet und dabei sogar lächelt, ist ein Wunder. Denn sie hat nichts zu lachen. Wer Schlecker, der Metzgersohn aus Ulm, wirklich ist, kann man am besten bei der Gewerkschaft Ver.di erfahren. Ein Gericht musste ihm verbieten, Tariflöhne zu versprechen, die er nie bezahlt hat. Unangemeldete Kontrolleure durchsuchen die Taschen der Verkäuferinnen. Schikanen gegen Betriebsräte: Die Liste der Klagen ist endlos. In der Regel gibt es nicht einmal ein Telefon in seinen Läden. Das sei überflüssig, sagt Schlecker, und verführe die Angestellten nur zu Privatgesprächen. Niemand kann die Polizei anrufen, deshalb häufen sich die Überfälle in Schleckers Filialen. Am 16. April dieses Jahres fiel eine Verkäuferin in Esslingen einem Raubmord zum Opfer.

Selbst das Handelsblatt räumt ein, dass solche Geschäftsmethoden „kritisiert“ werden könnten. Aber das interessiert diesen geborenen Schwaben nicht. Es geht ihm nur um sein Geld. Auch ganz privat. Deswegen will ihn niemand kennen lernen, auch nicht an seinem Geburtstag. Vor ein paar Jahren haben Gangster seine beiden Kinder entführt. Er hat bezahlt, aber erst nachdem er das Lösegeld auf die Hälfte heruntergehandelt hatte.