Saddam-Gerichtshof nicht arbeitsfähig

Der Prozess gegen Saddam Hussein lässt auf sich warten. Die Juristen des irakischen Sondertribunals sind nur unzureichend vorbereitet. UNO verweigert Unterstützung wegen „rechtsstaatlicher Defizite“ im Statut des Tribunals und Verfahrensmängeln

AUS GENF ANDREAS ZUMACH

Die von der irakischen Übergangsregierung ursprünglich für diesen Oktober angekündigten Prozesse gegen Exdiktator Saddam Hussein und andere hochrangige Mitglieder seines Regimes verzögern sich auf unbestimmte Zeit. Der Grund ist die mangelnde Ausbildung der Richter und Staatsanwälte des im Frühjahr etablierten nationalen Sondertribunals, das diese Verfahren durchführen soll. Zudem verweigert die UNO dem Tribunal bislang die Unterstützung, weil sein Statut nicht mit internationalen Rechtsstandards übereinstimmt. Außerdem kritisiert die UNO gravierende Verfahrensmängel bei der bisherigen Behandlung der künftigen Angeklagten.

42 irakische Richter und Staatsanwälte – fast das gesamte juristische Personal des Tribunals – nahmen bis Anfang letzter Woche an einem geheim gehaltenen siebentägigen Ausbildungsseminar in London teil. Organisiert wurde das Seminar von US-amerikanischen Juristen, die die Iraker bei der Vorbereitung des Tribunals unterstützen. Die Finanzierung des Seminars und der Reisekosten der Teilnehmer kamen von der Bush-Administration. Aus Großbritannien traten unter anderen der höchste Richter des Landes, Lord Woolf, sowie der führende Menschenrechtsanwalt, Geoffrey Robertson, als Referenten auf. Die Regierungen in London und Washington begründeten die Geheimhaltung der Veranstaltung bis zum Tag nach der Heimreise der irakischen Juristen mit der Sorge um deren Sicherheit.

Nach Angaben irakischer wie internationaler Teilnehmer wurde bei dem Seminar deutlich, dass die 42 Juristen sich zwar gut im nationalen Recht ihres Landes auskennen, nicht aber im internationalen Recht, das bei Anklagepunkten wie „Völkermord“ und „Verbrechen gegen die Menschheit“ zur Anwendung käme. „Wir haben bisher nur wenig Kenntnis über diesen für uns neuen Bereich des Rechts“, erklärte eine irakischer Richter.

Ähnlich äußerte sich auch der Jurist Raid Juhi al-Saadi, der bei der ersten Anhörung Saddam Husseins am 1. Juli den Vorsitz des Sondertribunals innehatte. Die auf Arabisch verfügbare Literatur zum internationalen Recht sei „sehr begrenzt“, erklärte al-Saadi. Daher seien die Richter und Staatsanwälte des Tribunals „auf die Unterstützung durch mehr internationale Expertise angewiesen“.

Aus diesem Grund hatten die Veranstalter des Londoner Seminars Juristen des Den Haager UN-Kriegsverbrechertribunals über Exjugoslawien eingeladen – darunter Chefanklägerin Carla del Ponte. Die Teilnahme der UN-Juristen wurde jedoch von Generalsekretär Kofi Annan abgelehnt. In einem Brief an das Haager UN-Gericht begründete Annan seine Haltung mit „ernsthaften Zweifeln, dass das irakische Sondertribunal internationale Rechtsstandards erfüllt“. Die UNO könne „keine nationalen Gerichte unterstützen, in deren Statut die Todesstrafe vorgesehen ist“. Zudem, so Annan, habe das New Yorker Sekretariat der UNO „bislang kein offizielles Mandat zur Unterstützung des irakischen Sondertribunals erhalten“.

Die in den USA ansässige internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) engagiert sich stark für die juristische Aufarbeitung der von dem Regime Saddam Hussein verübten Verbrechen. HRW-Direktor Richard Dicker erklärte, im Statut des irakischen Sondertribunals gebe es nach wie vor „erhebliche Mängel“ mit Blick auf menschenrechtliche Mindeststandards. So seien etwa durch Zwang und Folter erpresste Aussagen als Beweise zugelassen. „In einem fairen Verfahren müssen die Rechte des Angeklagten respektiert werden“, betonte Dicker. Dieses zentrale rechtstaatliche Prinzip sei im Vorfeld künftiger Prozesse bereits mehrfach erheblich verletzt worden. So habe „die erste Gruppe von Angeklagten, darunter Saddam Hussein, weder bei den seit ihrer Festnahme erfolgten Verhören einen Anwalt gehabt noch bei ihrer ersten Anhörung vor dem Tribunal am 1. Juli“.

Ein Prozess gegen Saddam Hussein noch vor den für Ende Januar angesetzten Wahlen im Irak ist sehr unwahrscheinlich.