Wer hat’s gut?

In seinem Dokumentarfilm „Invisible – Illegal in Europa“ porträtiert Andreas Voigt fünf Flüchtlinge in fünf Ländern

Anfang der Neunzigerjahre hatte Andreas Voigts in seiner vielbeachteten Leipzig-Trilogie recht einfühlsam unter anderem rechtsgerichtete junge Männer porträtiert, die sich tagein, tagaus mit ihren Kanarienvögeln unterhielten, wenn sie nicht grade Schwule jagten.

Sein neuer Film „Invisible“, der vor einigen Tagen beim Internationalen Dokumentarfilmfestival in Leipzig mit dem „European DocuZone Award“ ausgezeichnet wurde, handelt von fünf Flüchtlingen, die sich illegal in Europa aufhalten. Ein drängendes Thema, leben doch allein in Deutschland rund anderthalb Millionen Menschen ohne Papiere und versuchen, dabei möglichst unsichtbar zu bleiben.

In 88 Minuten versucht Voigt, fünf Illegale zu porträtieren: Zakari, einen desertierten algerischen Offizier, der seit zehn Jahren ohne Papiere in Deutschland lebt, mit seinen schwarzen Locken romantisch-melancholisch ausschaut und nur durch gelegentliche Telefonate mit seinem Zuhause verbunden ist; Malika, die mit ihrer Familie aus Tschetschenien floh und nach einer Odyssee durch Russland in Warschau landete, wo es ihr gelang, ein Bistro zu eröffnen; den jungen Price, der aus Nigeria stammt und in einem Abschiebegefängnis im niederländischen Tilburg auf seine Ausweisung wartet; Oumar aus Guinea-Bissau, der in einem Camp der in Marokko gelegenen spanischen Exklave Ceuta festsitzt und immer an Europa denkt, und Edita, die aus Ecuador stammende Transsexuelle, die sich auch als Prostituierte in Paris durchs Leben schlägt.

In Interviews spricht Voigt mit seinen Protagonisten über ihre Wünsche und Ängste, beobachtet sie bei der Arbeit oder auch nur dabei, wie sie von Ceuta aus sehnsüchtig nach Europa blicken, einem Paradies ohne Gewalt und „dubiose Charaktere“, wie einer der Protagonisten sagt. Ein wenig lernt man die Illegalen kennen, die streng genommen nicht alle illegal unter uns leben: Edita etwa bekommt immer wieder ein 6-Monats-Visum, Oumar sieht man in Ceuta, wie er übers Meer schaut, und als er’s nach Europa geschafft hat, hört man nur seine Stimme, die durchs Telefon von Barcelona erzählt.

Der Film ist konventionell, rechtschaffen und pc, leidet aber daran, dass er zu viele Menschen porträtieren will, den Einzelnen also zu wenig Raum lässt, ihre Geschichte zu erzählen, und auch daran, dass sich der Regisseur so weit zurücknimmt, dass man nicht weiß, was er will, was ihn interessiert an dem Film, den er gerade dreht, außer dass das eben sein Beruf ist. Zu selten hat man das Gefühl, den Protagonisten nahe zu kommen, denen die Last aufgebürdet wird, illegale Einwanderer im Allgemeinen repräsentieren zu müssen. Als Zuschauer wird man in die unangenehme Lage gebracht, plötzlich – wie ein Asylsachbearbeiter – darüber nachzudenken, wer das Recht hat, nach Europa zu kommen und wer nicht; wessen Asylantrag also berechtigt ist und wer wieder zurückgehen soll.

Wenn Voigt Price nach dessen Ausweisung in Laos inmitten seiner netten Familie filmt, denkt man, der hat’s doch gut da – und beim resigniert wirkenden Zakari, der kurz nach Fertigstellung des Films aufgegriffen und ausgewiesen wurde, plädiert man fürs Beiben. So ist der interessante Film doch recht zwiespältig.

DETLEF KUHLBRODT

„Invisible – Illegal in Europa“. Regie: Andreas Voigt. Deutschland 2004, 91 Min. Heute 19 Uhr, morgen 22 Uhr, Montag 20 Uhr, mit anschließendem Gespräch mit dem Regisseur. Babylon Mitte, Rosa-Luxemburg-Str. 30