Ausnahmslos different

Illegal, aber wenigstens hin und wieder legitim? Jan Philipp Reemtsma und Michael Wolffsohn stritten im Berliner Maxim Gorki Theater um das Thema „Folter: Königsweg zum Geständnis“

VON JAN FEDDERSEN

Nun nahm er doch an einer öffentlichen Debatte teil, der er sich eigentlich zu verweigern gelobte: der um Folter und ihre wenigstens ausnahmsweise Legitimität innerhalb eines demokratisch-rechtsstaatlichen Gefüges. Jan Philipp Reemtsma sagte schließlich doch Lea Rosh zu, sich im Salon des Maxim Gorki Theaters der Debatte mit Michael Wolffsohn, Historiker an der Bundeswehruniversität in München, zu stellen. Könnte Folter ein „Königsweg zum Geständnis“ sein?, lautete die Fragestellung – eine, die vermutlich jenseits der Feuilletondiskurse eine viel mächtigere Rolle spielt als von den politischen Establishments Europas gewünscht. Jedenfalls hatte Wolffsohn am 5. Mai im Talk mit Sandra Maischberger auf n-tv dargelegt, dass er „als eines der Mittel gegen Terroristen“ Folter „für legitim“ halte – „weil der Terror mit den normativen Grundlagen – also mit der Bewertungsgrundlage unserer zivilisierten Ordnung – überhaupt nichts mehr zu tun hat“.

Reemtsma erwiderte in der taz am 22. Juni, „Voraussetzung des Rechtsstaates“ sei „die Rechtsfähigkeit seiner Bürger“, die allerdings nicht gewährleistet sei, muss ein Bürger fürchten, körperlichen Torturen unterworfen zu werden: „Die Folter zielt auf die totale Unterwerfung des Gefolterten“, auf seine Einschüchterung, die ihn als Bürger nicht mehr agieren zu lassen erlaube. Folter müsse ein Tabu sein, sagte Reemtsma auch in der Diskussion. Ein Rechtsstaat, ohne den eine Demokratie in Gefahr schwebe, als Tyrannei der Mehrheit gegen die Minderheit zu wirken, dürfe keine Ausnahme von der Regel gestatten: Eine jede zerstörte ihn selbst.

Folter nach Demoskopie

Wolffsohn hingegen behauptete, keine Differenz zur Position Reemtsmas zu haben, denn auch er halte Folter wie ihre Androhung für illegal, hin und wieder dennoch für legitim. Beispielsweise im Falle einer Gefahrenabwehr, nicht jedoch, um ein Geständnis zu erpressen: Müsse man nicht, Wolffsohn recht verstanden, einen Ausnahmezustand wenigstens mitdenken, wenn mit Hilfe von terroristischer Gewaltandrohung verhindert werden könne, dass viele Menschen umkommen können, wenn man eine bestimmte Information nicht erfoltern könne?

Dass ein Frankfurter Polizist den Entführer von Jakob Metzler mit Folter bedroht hat, um so den Aufenthaltsort des Gekidnappten zu erfahren, wäre, so Wolffsohn, selbstverständlich illegal, doch legitim, denn er habe versucht, das Leben des Kindes zu retten. Reemtsma wiederum beharrte darauf, dieses selbst nicht mit augenzwinkerndem Verständnis billigen zu können – Folter verdirbt die rechtsstaatlichen Sitten. Wolffsohn warb zunächst erfolglos um Verständnis für seine Haltung – sei Reemtsma doch selbst Entführungsopfer gewesen. Der Umworbene ging nicht darauf ein. Dann argumentierte Wolffsohn mit Demoskopischem: Zu jener Zeit, als Jakob Metzler noch gesucht wurde, hätten Meinungsumfragen belegt, dass die Androhung von Folter satte Zustimmung findet.

Was ein seltsames Argument in einer Diskussion um Rechtsstaatlichkeit war und ist: Sind nicht auch immer wieder Mehrheiten demoskopischer Art für die Wiedereinführung der Todesstrafe? Und beweist sich eine rechtsstaatliche „Sittlichkeit“ (Reemtsma) nicht gerade darin, dass diese aufwallenden Befindlichkeiten von Staats wegen ignoriert werden müssen?

Pudding an der Wand

Beide Disputanten waren sich einig, dass das kürzlich beschlossene Luftsicherheitsgesetz leider ohne öffentliche Debatte verabschiedet werden konnte. Ihm zufolge nämlich ist es rechtlich abgesichert, ein Flugzeug abzuschießen, wenn es, wie am 11. September 2001 in New York, als Monsterwaffe von Terroristen genutzt würde – selbst wenn an Bord unschuldige Passagiere sitzen. Allerdings begrüßte Wolffsohn das Gesetz, Reemtsma hingegen hält es für einen „Skandal“.

Die entscheidende Differenz beider Haltungen kam erst zum Vorschein, als ein Frager aus dem Publikum auf die atmosphärischen Haltungen einging. Tatsächlich verhandele Wolffsohn das Legalitätsprinzip wie eine lebensferne und gefühlsarme Rechtsmaschine, das Legitime hingegen als den authentischen Ausdruck von Gerechtigkeitslücken. Kurz: Während Reemtsma den Rechtsstaat für fundamental frei von Folter und ihrer Androhung wissen will, hält sich der Bundeswehrprofessor nicht lange mit der Legalität auf. Weil er jenseitig von ihr einen – Stichwort: terroristische Bedrohung – steten Ausnahmefall annimmt.

Doch wer definiert ihn? Der Staat? Eine Staatsanwaltschaft? Ein Polizist? Wer entscheidet über das Sittliche? Lässt ihre Verletzung sie nicht zugleich verrohen – macht sie also wertlos, zum Accessoire einer deshalb kaum letztgültigen Rechtsordnung? Das Folterdrohungsverbot als Element von Feiertagsrhetorik, arm an Belang aber im täglichen Kampf gegen das Böse? Reemtsma blieb hart, Wolffsohn hofft weiter, ein Tabubrecher im Sinne des Guten zu bleiben.