Na, gnädiger Herr!

Ab morgen gewährt das „Leben im Gutshaus“ Einblick ins vertrackte Miteinander von Gutsherren und Dienern (Di–Fr, 18.50 Uhr, ARD)

VON STEFFEN GRIMBERG

Als die Familie Boro dem legendären „Schwarzwaldhaus 1902“ der ARD entkommen war, zog Frau Boro nach vier Monaten harter Landarbeit ein einsichtiges Fazit. Interessant sei es gewesen, doch an einer solchen TV-Zeitreise würde sie nur unter einer Bedingung nochmals teilnehmen: als Gutsherrin, auf einem standesgemäßen Landsitz in Brandenburg.

Doch es kam anders. Das Gutshaus Belitz, Schauplatz der morgen startenden ARD-Vorabendserie „Abenteuer 1900“, liegt bei Güstrow in Mecklenburg, und die Gutsbesitzer heißen Weber.

Das Chirurgenehepaar mimte für zwei Monate die Herrschaft, Morgenandacht inklusive. So viel sei schon hier verraten: Chirurgen sind eher maue Prediger. Sechs Kinder brachten die Webers mit – macht acht Menschen im zurück ins Jahr 1900 „renovierten“ kleinen Schloss, für deren Wohlergehen elf Bedienstete ins Untergeschoss zogen.

Deren Anführerin heißt im Fernsehen Mamsell, in Wirklichkeit Sarah Wiener und führt in Berlin gleich drei Restaurants. Auch wenn die gebürtige Wienerin, die 1978 nach Berlin kam, der Legende nach ihre Catering-Karriere mit einer alten Gulaschkanone der Nationalen Volksarmee begann: Die Küche von 1900 mit Holzherd, dafür ohne elektrische Beleuchtung oder fließend Wasser macht ihr zunächst zu schaffen. Vom Gesinde ganz zu schweigen. Hauslehrer Moseler, zum Beispiel. Der will gleich zu Anfang nicht den Dienstboteneingang nutzen, schließlich speist er künftig als Einziger am Tisch der Herrschaft. Später macht er sich an alles heran, was Röcke trägt, und ist so etwas wie das ewig frotzelnde Bindeglied zwischen oben und unten.

Auch die Burschen und Küchenmädchen fallen in den 16 Folgen immer mal wieder ins Jahr 2004 zurück. Sie giggeln hemmungslos unter den gestrengen Augen der Mamsell und bringen auch der Herrschaft nicht immer den nötigen Respekt entgegen. Oder verschlafen, was noch schlimmer ist. Denn bei den Mädchen steht der Wecker, und die Herrschaft liebt es gar nicht, wenn morgens zum Aufstehen kein warmes Waschwasser bereit steht oder die Nachttöpfe noch nicht geleert sind. „Vite, vite mes enfants! – Schnell, Kinder!“, tönt dann der leicht verzweifelte Schlachtruf der Mamsell.

Belitz ist eben ein echt Mecklenburgisches Gut – und hinkt um 1900 dem damaligen Fortschritt um einiges hinterher. Beim britischen Vorbild, der Zeitreise-Serie „The Edwardian Country House“ des Senders Channel Four, die um 1905 spielt, fuhr die Lordschaft schon im Automobil vor und hatte Telefon.

Wahrend aber den britischen Zeitreisenden die Standesdünkel zwischen der Herrschaft „upstairs“ und dem Personal „downstairs“ in Fleisch und Blut übergingen und bald ein Untergeschoss-Klassenkampf tobte, bleibt „Abenteuer 1900“ leidlich sozialdemokratisch.

Doch vertrackt ist die Hierarchie aus der angeblich so guten alten Zeit auch beim deutschen Gesinde: „Da du ja der Diener bist, sagst du Sie zu mir, ich aber sage: Du, Jan. Stimmt das?“, fragt Mamsell Wiener. Fast, Chefin – der vermeintliche Diener Jan heißt nämlich Arndt.

Die mecklenburgische Entschleunigung um 1900 passt auch gut zum Arbeitsrhythmus der ARD. Dass sie zwei Jahre brauchte, um an einen ihrer größten – und besten – Programmerfolge mit einem weiteren, thematisch nahe liegenden Zeitreiseformat anzuschließen, spricht Bände. Deutlich schrottigere Programme werden allseits schneller adaptiert. Selbst die alle Erwartungen übertreffenden Quoten des „Schwarzwaldhauses“ – zuletzt über 20 Prozent – erweckten bei den ARD-Granden keine Lust auf raschere Fortsetzung. SWR-Intendant Peter Voß, dessen Anstalt auch jetzt zusammen mit dem RBB „Abenteuer 1900“ produziert, warnte sogar vor „all zu viel Euphorie“. Auch dieses Mal werden ihm die Zuschauer wohl einen Strich durch die Rechnung machen: Das „Abenteuer 1900“ gehört klar zu den Programmhighlights 2004. Nur der neue Sendeplatz könnte sich als problematisch erweisen: Während das „Schwarzwaldhaus“ im Ersten noch im Hauptabendprogramm lief, hat die ARD für ihr Gutshaus am Vorabend Platz gemacht. Gleich nach „Marienhof“.