„Haben die Gottes Handynummer?“

Der franko-algerische Rai-Sänger Khaled über sein neues Album „Ya rayi“, die Selbstüberschätzung der radikalen Islamisten, die neue Hoffnung für Algerien und die Tatsache, dass ihn seine Kinder davor bewahrt haben, am 11. September 2001 in einem amerikanischen Flugzeug zu sterben

INTERVIEW: DANIEL BAX UND BJÖRN DÖRING

taz: Herr Khaled Hadj Brahim, „Ya-Rayi“ ist Ihr erstes Lebenszeichen nach dem 11. September 2001. Wie hat sich dieses Datum auf ihre Arbeit ausgewirkt?

Khaled: Im September 2001 sollte ich in den USA auf Tournee gehen und es war geplant, dass mein erstes Konzert am Abend des 11. September in New York stattfindet. Eigentlich sollte ich am 9. September aus Paris in Richtung New York abfliegen. Das hat nicht geklappt, weil ich keine Babysitterin für meine Kinder finden konnte. Ich war zunächst einmal völlig aufgelöst, denn der Durchbruch in den USA ist mein Lebenstraum, eines der großen Ziele, die ich mir gesteckt habe. Also beschloss ich, die Kinder mitzunehmen. Aber ich konnte nun nicht mehr den geplanten Flug nehmen. Am Morgen des elften September war ich unterwegs, um meine neuen Tickets abzuholen, und es war geplant, dass ich am Abend in Frankreich abfliegen sollte. Ich ging ins Büro meines Konzertagenten, der einen riesigen Fernseher direkt neben seinem Schreibtisch hat. Wir starrten alle auf die schrecklichen Bilder und uns wurde schnell klar, dass eines der gekaperten Flugzeuge, nämlich jener Flug, der nach Los Angeles gehen sollte, genau der Flug war, den ich ursprünglich für eine Promotionreise nehmen sollte. Ich möchte darüber nicht allzu viel reden, denn das war ein echter Schock.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Mein Agent wollte die gesamte Tournee absagen. Ich habe ihm vehement widersprochen, weil ich bemerkte, dass die arabische Kultur als Ganzes in den USA nach den Anschlägen in einem sehr schlechten Licht gesehen und dargestellt wurde. Also nahm ich zusammen mit dem Sänger Hakim, der auch auf dieser Tour dabei sein sollte, den Song „Salam Aleikoum“ auf, der auf dem Hook von James Browns „I Feel Good“ basiert. Das hat extrem gut funktioniert, sodass ich bald Anfragen von den großen Sendern wie etwa CNN hatte, die mich über die arabische Welt befragen wollten. Auf diese Weise konnte ich den Leuten die Vielfalt und Offenheit meiner Kultur zeigen: Ich selbst als nordafrikanischer Muslim, der gemeinsam mit Hakim aus dem Iran, einem Palästinenser und einem Musiker jüdischen Glaubens spielt.

Und was wurde aus den Konzerten?

Am Ende haben wir dann doch eine Tournee durch die USA organisiert, und die wurde extrem gut aufgenommen. Es war nicht einfach, in dieser Zeit mit einer riesigen Tourkarawane durch das Land zu ziehen, in der die meisten Künstler und Techniker arabische Namen hatten. Aber wir hatten eine wunderbare Tournee. Niemand hat uns auf den Flughäfen das Leben schwer gemacht.

Haben Sie in letzter Zeit auch mal wieder Konzerte in ihrer alten Heimat Algerien gespielt? Wegen des Bürgerkriegs dort war es ja lange Zeit unmöglich.

Ja, ich habe zum Beispiel im Vorfeld der letzten Präsidentenwahlen ein Konzert gegeben. Und im Jahr 2000 habe ich nach fünfzehn Jahren Konzertpause in Algerien ein großes Benefizkonzert gegeben, dessen Erlöse dazu dienen sollten, Insulin zu kaufen. Denn es gibt eine Schätzung, dass in Algerien siebzig Prozent aller Menschen Diabetiker sind, denen kaum ausreichend Insulin zur Verfügung steht.

Ist es für Sie also nicht mehr gefährlich, in Algerien aufzutreten?

Ich war jahrelang auf einer schwarzen Liste, weil ich eben nicht so gelebt habe, wie sich manche das vorstellten. Und ich hatte natürlich Angst, dass man mich umbringen lassen würde. Aber deshalb zu schweigen, das wäre mir nie eingefallen.

Fanden die Konzerte in relativer Sicherheit statt?

Ich würde nicht sagen, dass es nicht mehr gefährlich ist. In den großen Städten bleiben die Leute am Abend in ihren eigenen vier Wänden. Und bei Hochzeiten gibt es nur ganz selten Musik. Denn wenn die Leute Musik spielen, haben sie Angst, dass Terroristen kommen, denen das weltliche Leben ein Dorn im Auge ist. Weit verbreitet ist auch die Angst davor, dass die Frauen verschleppt werden. Das ist ein religiös motiviertes Verbrechen, das aus radikalislamischen Ländern wie dem Iran, Pakistan oder von den Taliban nach Algerien gebracht wurde. Es sind nicht die Algerier selbst, die das praktizieren, sondern die Radikalen, die nach Algerien kommen, um ihren vermeintlichen Brüdern zu helfen. Helfen heißt aber in vielen Fällen einfach, dass sie diejenigen sind, die andere Menschen umbringen oder Frauen vergewaltigen.

Hat sich die Situation nicht inzwischen entspannt?

Ich würde schon sagen, dass es in Algerien ein leichtes Aufatmen gibt. Dank des neuen Präsidenten, dank des algerischen Volkes und vor allem dank der algerischen Frauen, die diese Verbrechen bekämpfen. In den großen Städten verbessert sich das Klima, aber das archaische Recht und die Verbrechen können sich in den Dörfern noch halten, wo es keine Polizei gibt, kein Instrument des Staates, um die Sicherheit aufrechtzuerhalten. Trotz aller Angst begreifen die Algerier aber jetzt, dass es sich bei diesen Glaubenskriegern nur um eine besonders brutale Mafia handelt. Das ist wie anderswo die Hisbollah. Hisbollah, wissen Sie eigentlich, was das heißt? „Die, die mit Gott sprechen“. Wie machen die denn das? Schicken die Faxe nach oben? Haben sie seine Handynummer? Wisst ihr was, Leute, wenn ihr mit Gott sprechen könnt, dann gebt mir seine E-Mail-Adresse, dann spreche ich selber mal mit ihm. Dann müsst ihr das nicht mehr tun und mir danach irgendwelche Lügen auftischen.

Wie haben Sie Ihr neues Album „Ya Rayi“ in Angriff genommen? Es wirkt ja teilweise sehr traditionell angehaucht, wie eine Quintessenz ihrer Karriere.

Ich habe ein ganzes Jahr im Studio gesessen und an der Platte gearbeitet. Zum ersten Mal habe ich einige Titel komplett alleine aufgenommen, produziert und alle Instrumente selbst gespielt. Bisher hatte ich zwar immer die künstlerische Linie meiner Platten vorgegeben, aber es gab stets jemanden im Studio, der meine Anweisungen umgesetzt hat. Letztlich war mir aber bei der Konstellation für das neue Album auch etwas anderes sehr wichtig: Ich bin abergläubisch und hatte das Gefühl, das ich das Team zusammenbekommen wollte, das schon für mein erstes Album „Kutché“ verantwortlich war: Philippe Eidel, Don Was und Michael Brooke. Das ist eine schöne und wichtige Erinnerung, die ich wieder aufleben lassen wollte. Deshalb habe ich Philippe und Don Was angerufen. Don entschuldigte sich dafür, dass er gerade mit den Rolling Stones zu tun hatte. Also sagte ich zu ihm: „Don, my brother, kein Problem. Wenn du die Platte fertig hast, machen wir unser Album.“ Die Frage war nur: Wie? Ob man wohl via Internet produzieren könnte? Alle haben mich für komplett verrückt erklärt. Aber wir haben Webcams installiert, uns über Telefon unterhalten, und dann hat Don das Album über Internet produziert.

Warum singen Sie auf „Ya-Rayi“ fast ausschließlich auf Arabisch?

Für mich ist diese Platte eine Wiedervereinigung, ein Treffen der Kulturen. Ich habe jüdische Künstler auf der Platte, arabische und christliche Künstler. Zwar hatte ich auch Songs auf Französisch geschrieben, aber die werde ich für eine andere Veröffentlichung in der Schublade behalten. Wichtig war für mich, dass es in einem Song wie „Mani Hani“ eine Art Pingpong zwischen Französisch und Arabisch gibt – jedes Wort wird in die jeweils andere Sprache übersetzt, um das Verständnis für die andere Sprache zu verbessern.

Was war Ihre Absicht dabei?

Ich will ein Bild korrigieren, das momentan die Öffentlichkeit dominiert. Überall wird der Islam und damit die arabische Kultur als Ausrede hergenommen, um Verbrechen zu begehen. Überall gibt es Krisenherde, in denen die Terroristen den Islam wie eine Ausrede vor sich herschieben, und ich fürchte, dass wir mit dieser furchtbaren Entwicklung noch nicht am Ende sind. Aber ich glaube daran, dass wir einen solchen kulturellen Horror nur beenden oder bremsen können, wenn wir uns die Hand reichen.