Todesstoß für Suchthilfe

Drogenhilfeeinrichtungen kritisieren beschlossene Förderrichtlinie zur psychosozialen Betreuung Suchtkranker: Abhängige landen auf der Straße

Von Marco Carini

Schon der Titel ist ein Etikettenschwindel. Die von der Gesundheitsbehörde gestern veröffentlichte Förderrichtlinie zur „psychosozialen Betreuung“ (PSB) von Drogensüchtigen, die im Januar kommenden Jahres in Kraft tritt, will eins mitnichten: fördern. Stattdessen, so stellt Gesundheitssenator Jörg Dräger (parteilos) unverblümt klar, sei ihr Ziel, dass die von der Stadt für psychosoziale Betreuung eingesetzten „Mittel“ von derzeit 4,2 Millionen Euro „deutlich reduziert“ werden. Die Perspektive: Spätestens 2008 soll – so die offizielle Behörden-Sprachreglung – die „Förderung spezialisierter PSB-Einrichtungen“ ganz „entfallen“. Ein Todesstoß auf Raten.

Rund 1.300 Konsumenten illegaler Drogen werden heute psychosozial betreut. Lebenshilfe wie Schuldenberatung, Gesundheitsvorsorge und Wohnungssuche stehen genauso auf dem Programm wie die psychische und psychologische Betreuung der suchtkranken „Klienten“. All das soll es so nicht mehr geben.

Das Behördenkonzept sieht vor: 1. Der einklagbare Rechtsanspruch für substituierte, also auf Methadon umgestellte Suchtkranke auf psychosoziale Betreuung wird gekippt: Die Angebote werden nur noch als „freiwillige Leistung im Rahmen verfügbarer Haushaltsmittel“ bewilligt.

2. Die psychosoziale Betreuung wird jedem Konsumenten nur noch ein einziges Mal, begrenzt auf zwei Jahre gewährt.

3. Die psychosozialen Betreuungseinrichtungen dürfen ihre Klienten nur noch sozialpädagogisch betreuen. Therapeutische Leistungen wie Psychotherapien sollen ausschließlich von Ärzten und Psychologen erbracht und über die Kassen abgerechnet werden. Suchtberatungsstellen sollen stärker in die psychosoziale Betreuung einsteigen.

Bei vielen Drogeneinrichtungen löst die Richtlinie schieres „Entsetzen“ aus. Regine Ackermann, Therapieleiterin von „Jugend hilft Jugend“ beklagt, „dass Hilfe nur ein Mal gewährt wird.“ Wer beim ersten Anlauf scheitere, falle weitgehend aus dem Hilfesystem. Ackermann: „Sucht ist eine lebenslange Krankheit. Sie können ja auch keinem Krebspatienten eine zweite Therapie verwehren, wenn die erste nicht anschlägt.“ Rainer Schmidt, Geschäftsführer der „Palette“, geht davon aus, dass die Hilfseinrichtung 240 ihrer 400 Klienten „auf die Straße setzen muss, weil wir sie wegen der Zeitbeschränkung nicht mehr betreuen dürfen“.

Den Plan, die Abhängigen zukünftig in die Praxen von Ärzten und Therapeuten abzuschieben, hält Schmidt für „weltfremd“, weil viele Klienten gar nicht „wartezimmerfähig und zuverlässig genug“ seien, um dort betreut zu werden. Behördensprecher Hartmut Stienen räumt darüber hinaus ein, dass mit den Kassen noch keine Vereinbarungen über die Finanzierung der psychotherapeutischen Behandlung Substituierter geschlossen wurden. Das Modell der „integrierten Versorgung“ Suchtkranker, bei dem Drogeneinrichtung und Therapeut zusammenwirken, ist somit noch ein Wunschtraum.

Schmidts Fazit: „Hier wird das Herzstück der Drogenpolitik zerstört und damit das ganze Hilfesystem ausgehebelt.“