Staat lässt Arme Schulden machen

Die Waschmaschine bezahlt den Empfängern von Arbeitslosengeld II in Zukunft nicht mehr das Sozialamt. Stattdessen müssen sie dafür sparen. Möglich ist das kaum, der Staat hat ihre Bezüge kleingerechnet. Aber es gibt Kredite der Arbeitsagentur

VON BARBARA DRIBBUSCH

Bekommen Bedürftige vom Sozialamt das Geld für einen Teppich? Haben sportliche Kinder armer Eltern ein Recht auf Fussballschuhe, und muss das Sozialamt Trauerkleidung zahlen?

Lang waren in der Vergangenheit die Listen jener Güter, die sich Stützeempfänger als einmalige Beihilfen vor Gericht erstritten. Damit ist jetzt Schluss. Vom kommenden Jahr an müssen Arme alle größeren Anschaffungen vom neuen Arbeitslosengeld II „ansparen“. Darunter fallen auch Routineausgaben etwa für die Reparatur von Haushaltsgeräten und für Bekleidung. Experten warnen schon jetzt vor den Folgen.

„Die meisten Empfänger werden nicht in der Lage sein, von dem wenigen Geld auch noch monatlich etwas beiseite zu legen, weil es ohnehin viel zu wenig ist“, sagt Harald Thomé, Mitarbeiter des Wuppertaler Beratungsvereins „Tacheles“. 345 Euro (Osten: 331 Euro) monatlich bekommt ein alleinstehender Langzeiterwerbsloser ab Januar 2005 an Arbeitslosengeld II, plus der Wohnkosten. Nur die Erstausstattung für eine Wohnung wird noch extra finanziert. Das war bisher in der Sozialhilfe anders: Dort gab es zwar nur Regelsätze von knapp unter 300 Euro im Monat, dafür aber regelmäßig zusätzliches Geld für Kleidung, Haushaltsgeräte und Möbel.

Dass jetzt pauschal ausgezahlt wird, loben Sozialpolitikern gern als einen Schritt zu mehr „Eigenverantwortung“ der Empfänger. „Auch die Mittellosen kriegen jetzt Dispositionsspielraum“, sagt dazu sarkastisch Johannes Steffen von der Arbeitnehmerkammer Bremen. Dabei dürfen die Armen nicht nur sparen, sondern auch ganz offiziell „auf Pump“ leben. Wenn nämlich der Kühlschrank kaputt geht oder die Waschmaschine streikt und kein Geld für die Reparatur da ist, gewähren die Arbeitsagenturen bei „unabweisbarem Bedarf“ ein Darlehen – das jedoch in den kommenden Monaten Häppchen für Häppchen wieder vom Regelsatz abgezogen wird.

Rein rechnerisch stehen die künftigen StützeempfängerInnen jedoch nicht schlechter da als bisher, betonen rot-grüne Sozialpolitiker. Denn im Schnitt machten die früheren „einmaligen Leistungen“ in der Sozialhilfe etwa 15 Prozent des Regelsatzes aus. Und die gebe es ja nun monatlich obendrauf. „Unterm Strich bedeutet das für viele Haushalte trotzdem eine Kürzung“, betont Steffen. Denn Haushalte mit vielen Kindern etwa hatten immer einen überproportional hohen Bedarf beispielsweise an Kleidung. Auch dieser muss künftig aus dem Regelsatz bestritten werden. „Es wäre besser, wieder zum alten Prinzip der konkreten Bedarfsdeckung zurückzukehren“, fordert deshalb Thomé.

Ohnehin nahmen sich die zuständigen Beamten im Bundessozialministerium gewisse Freiheiten bei der Berechnung der neuen „bedarfsorientierten“ Regelsätze. „Der Bedarf ist im Wesentlichen eine politische Festsetzung“, sagt dazu Reiner Höft-Dzemski vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, der Politiker wissenschaftlich berät. Der neue Regelsatz orientiert sich an den statistisch erfassten Ausgaben des ärmsten Fünftels der Bevölkerung. Dabei wurden jedoch beispielsweise beim Bekleidungsposten im Regelsatz niedrigere Summen festgelegt. Denn die Ausgaben der armen Bevölkerungsschicht enthielten „einzelne Positionen, die nicht dem notwendigen Bedarf zuzurechnen sind, (z. B. für Maßkleidung, Pelze)“ heißt es in der vom Bundessozialministerium herausgegebenen Begründung. Den Beamten war offenbar keine Rechtfertigung zu absurd, um die Regelsätze für das Arbeitslosengeld II möglichst niedrig zu halten.

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