„Vom Drang zum Wachstum bestimmt“

Die Vorstellung der Museen und anderer Kunstinstitutionen, ganz unterschiedliche Öffentlichkeiten anzusprechen, ist längst hinter die rein quantitativen Erwägungen zu Besucherzahlen und Verkaufserlösen zurückgetreten: Die New Yorker Künstlerin Andrea Fraser über das neue Museum of Modern Art

INTERVIEW SEBASTIAN MOLL

taz: Hätten Sie Lust, als Institutionskritikerin über das neue MoMA zu arbeiten?

Andrea Fraser: Ich wurde einmal gebeten, eine Performance-Führung durch die Matisse-Ausstellung zu machen, und habe das damals abgelehnt. Wenn, dann wollte ich nur eine Führung durch die gesamte Sammlung machen. Seither wurde ich nicht mehr gefragt, weil man es beim MoMA nicht verstehen konnte, dass ein Künstler ein Angebot des MoMA ablehnt.

Was würde Ihnen denn zum neuen MoMA einfallen?

Wenn ich im MoMA bin, arbeite ich in der Hauptsache im Archiv und in der Bibliothek. Dort habe ich Bänder mit Reden gefunden, die im MoMA gehalten wurden, von John Rockefeller und Franklin D. Roosevelt bis zu Kirk Varnedoe. Mit diesen Reden hätte ich gern zur Eröffnung etwas gemacht.

Was sagen Sie zur 850-Millionen-Dollar-Erweiterung des MoMa?

Ich weiß nicht, ob mir dazu speziell so viel einfällt. Ich beschäftige mich nicht zum Spaß mit Museen, nur wenn ich in ihnen und über sie arbeite. Allgemein denke ich, dass das MoMA hätte relevant bleiben können, wenn es dem Trend zu dem widerstanden hätte, was ich „Konzern-Populismus“ (Corporate Populism) nenne.

Konzern-Populismus?

Das Ideal von Kunstinstitutionen, unterschiedliche Öffentlichkeiten anzusprechen, ist doch längst hinter rein quantitative Erwägungen von Besucherzahlen und Verkaufserlösen zurückgetreten. Die Museen sind vor etwa zehn Jahren in eine teuflische Wachstumsspirale eingetreten. Durch Museumsübernahmen und Erweiterungen sowie die Proliferation von Museumsaußenstellen hat sich die Museumswelt der Welt der Konzerne angepasst, in der mehr immer besser ist. Aus dem Mehr um der Kunst willen ist ein Mehr um des Mehr willen geworden. Jetzt regiert nur noch der Wettbewerb um Konsumenten (Besucher), Produkte (Ausstellungen) und Gelder. Das erzeugt zwar eine Diversität von Produkten (Ausstellungen), aber auch eine institutionelle Monokultur. Die wirkliche Herausforderung für Institutionen heute wäre es, diesen Konzern-Populismus zu vermeiden, ohne in den Elitismus der 70er-Jahre zurückzufallen.

Sehen Sie irgendwo Institutionen, die das leisten?

Nicht in Amerika, im Gegenteil: Momentan habe ich den Eindruck, als würden sich Elitismus und Populismus verbünden. Das Kunstvereinssystem in Deutschland kommt vielleicht am ehesten diesem Ideal nahe.

Kann man wirklich die MoMA-Erweiterung mit der globalen Konzernstrategie des Guggenheim gleichsetzen?

Entscheidend ist, dass das MoMA vom Drang zum Wachstum bestimmt ist, wie alle New Yorker Museen. Es muss sich wie jede große Bürokratie selbst reproduzieren. Man muss sich nur anschauen, wie das MoMA das PS1 kannibalisiert hat. Der Rückgang der öffentlichen Mittel für die Kunst unter Reagan hat eine neue Kaste von Kunstinvestoren hervorgebracht, die vorwiegend aus Eigeninteresse handeln. Dazu gehören auch die neuen Trustees des MoMA. Diese neue Kaste hat die institutionellen Regeln der Wirtschaft internalisiert und auf die Museen übertragen. Alles wird vom Wettbewerbsgedanken beherrscht. Die Museen stehen im Wettbewerb miteinander und mit Angeboten der Popkultur oder – speziell in New York – mit anderen Touristenattraktionen. Ich kann das einfach nicht begreifen. Ich verstehe nicht, warum Museen wachsen müssen – es ist albern und selbstgefällig. Man hat doch eine Wahl, man kann doch aus dieser Dynamik aussteigen.

Warum ist die Korruption der Kunstinstitutionen durch den Markt für Sie konkret so katastrophal?

Ich habe das Ideal, dass Künstler, Kuratoren und Kritiker an einem gemeinsamen sozialen Projekt arbeiten. In den wachstumsorientierten Kunstinstitutionen ist das jedoch unmöglich, weil sie extrem arbeitsteilig und hierarchisch organisiert sind. Der neue MoMA-Direktor Lowry hat gerade wieder eine neue hierarchische Ebene zwischen Management und Kuratoren eingeführt, die die Autonomie der Kuratoren beschneidet. Ich glaube immer noch an die Autonomie von Kunst. Ich finde, dass es auch Raum für Werke geben muss, die keinen Markt haben.

Dem MoMA wurde in Deutschland Kulturimperialismus vorgeworfen, als es seine Sammlung in Berlin ausgestellt hat. Glauben Sie, dass die Globalisierung im Kunstgeschäft Imperialismus mit sich bringt?

Ich glaube, Globalisierung hat verändert, was Imperialismus bedeutet. Ich glaube nicht, dass es eine direkte Einflussnahme in einer bestimmten Richtung gibt. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass das MoMA im Alleingang eine bestimmte Version der modernen Kunstgeschichte postulieren und etablieren kann – dazu ist die Arbeitsteilung im Kunstbetrieb wiederum zu ausgeprägt. Die akademische und die feuilletonistische Kunstgeschichte lassen nicht zu, dass das MoMA monolithisch die Kunst historisiert. Was jedoch exportiert wird, sind die institutionellen Strukturen des Marktes und des Wettbewerbs – ich war schockiert, als ich gehört habe, was das MoMA für den Verleih seiner Sammlung kassiert hat.

Gibt es Institutionen, die Ihren Idealen entsprechen, haben sie eine positive Vision?

Ich bin Kritikerin und Pessimistin. Ich liebe beispielsweise die Kunst der Dia-Stiftung. Ihre Vision ist wunderbar radikal und klar – das ist etwas ganz Seltenes und Kostbares. Als das neue Dia in Beacon eröffnet hat, ist durch die Medien jedoch ein riesiger Hype entstanden. Jetzt strömen Leute dorthin, die überhaupt nichts mit dieser Kunst anfangen können. Ich halte das für tragisch.

Das ist eine ziemlich elitäre Position.

Nein – ich bestehe nur darauf, dass sich Künstler, Kritiker und Institutionen Rechenschaft darüber ablegen, warum sie ein größeres Publikum anstreben. Wenn die einzige Antwort darauf ist, um eine größere Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen zu erzeugen, dann haben wir alle verloren.

Die New Yorker Künstlerin Andrea Fraser, 1965 in Billings/Montana geboren, wurde durch ihre Performances bekannt, in denen sie den Kunstbetrieb, beispielsweise die Institution Museum, kritisch hinterfragt. Ihre These: Nicht der Künstler, sondern der Betrieb bestimmt, was Kunst ist. Skandal machte zuletzt ihr Video „Untitled“ (2003), das zeigt, wie sie mit einem Kunstsammler in einem Hotelzimmer Sex hat. Es soll sich um eine Auftragsarbeit handeln, für die der Sammler bezahlte.