Lettland zieht die deutschen Chefs an

Der Bundespräsident wirbt im Baltikum für bessere Wirtschaftsbeziehungen. Viele deutsche Manager haben sich dort bereits niedergelassen, produzieren Autoteile oder Spezialmaschinen. Das sichere auch hierzulande Jobs, sagen sie

RIGA taz ■ Als Bundespräsident Horst Köhler gestern in Riga aus dem Flugzeug stieg, musste er sich warm anziehen – im wörtlichen Sinn. Bis heute reist er durch das Baltikum. Montag war er gestartet. Und während das Wetter in Deutschland freundlicher wird, ist es in der lettischen Hauptstadt frostig. Von einer Abkühlung des politischen Klimas zwischen den Ländern kann jedoch keine Rede sein. Für Lettland ist Deutschland nach wie vor der wichtigste Handelspartner. Auch bei den ausländischen Direktinvestitionen sind die Deutschen führend.

So muss es Köhler bei seinem Antrittsbesuch nicht mehr darum gehen, für deutsch-lettische Wirtschaftsbeziehungen zu werben.Vielmehr ist eine ehrliche Einschätzung gefragt, wie weit der lettische Aufschwung noch trägt. Gelingt es, die in diesem Jahr stark gestiegene Inflation in den Griff zu bekommen und die Korruption einzudämmen?

Seit 1995 ist die lettische Wirtschaft um durchschnittlich 6,1 Prozent gewachsen. Im laufenden Jahr soll das Bruttoinlandsprodukt, also die Summe aller im Land produzierten Waren und Dienstleistungen, nach Vorhersagen der Deutsch-Baltischen Handelskammer um weitere 7,5 Prozent steigen. Dazu beigetragen haben neben dem für Transformationsländer typischen hohen Anteil des Bausektors auch Handel, Industrie sowie die Finanzdienstleistungen. Immer mehr Russen, erklärt NordLB-Vizechef Michael Kiesewetter, nutzen Lettland als sicheren Hafen für ihre Geldanlagen und Ersparnisse. Ein Teil ist Schwarzgeld.

Der hohe Anteil der Geldanlagen an den Investitionen – die im Krisenfall kurzfristig wieder abgezogen werden können – ist einer der Gründe, warum Kiesewetter mit weiteren Prognosen vorsichtig ist. Zumal das Wachstum auch mit Subventionen aus den Strukturfonds der Europäischen Union sowie dem Zugeständnis, die vier Sonderwirtschaftszonen bis zum Jahr 2017 nutzen zu dürfen, erkauft ist. Außerdem muss die Regierung sparen: 2005 will sie die lettische Währung Lat an den Euro binden. Bis dahin muss sie die Inflation im Griff haben, die derzeit bei 7 Prozent liegt.

Möglicherweise erlahmt bald auch das Interesse aus dem Ausland: Zwar ist der lettische Mindestlohn mit umgerechnet 121 Euro der niedrigste in der EU. Aber besonders in den Beschäftigtengruppen, die von ausländischen Firmen gesucht werden, steigen die Löhne enorm. „Ich kann nicht sagen, ob es eine harte oder weiche Landung gibt“, sagt Kiesewetter. Janis Krauklis von der Knauf GmbH Lettland, die den ehemals staatlichen Baumaterialbetrieb Saurieschi übernommen hat, prophezeit indes ein „Ende des Booms in höchstens zwei Jahren“.

Deutsche Unternehmen lassen sich in Lettland die Stimmung trotzdem nicht vermiesen. „Ich spüre Aufbruchstimmung“, sagt Andris Ozols, Leiter der Investitions- und Wirtschaftsförderungsagentur Lettland (ILAA). Die Arbeitskosten sind eben doch noch relativ gering. Der Körperschaftssteuersatz ist niedrig, auch außerhalb der Sonderwirtschaftszonen beträgt er nur 15 Prozent. Und der Markt in Russland ist nah.

Das lockt, auch wenn manche Investition gescheitert ist. Ausländische Unternehmer finden oft einfach nicht die richtigen Ansprechpartner, erklärt ILAA-Chef Ozols. Dann nennt er aber eine Stadt, wo die Zusammenarbeit vorbildlich gelaufen sein soll: im rund 40 Kilometer südlich von Riga gelegenen Jelgava.

Zu Sowjetzeiten arbeiteten dort 4.000 Menschen in der Rigaer Autofabrik RAF. Täglich rollten einhundert Minibusse vom Band. Nach 1992 lag dort jedoch alles brach. Das änderte sich erst, als vor fast vier Jahren Andris Ravins Bürgermeister wurde. Er suchte aktiv Investoren – für ein vergleichsweise günstiges Gewerbegebiet, in dem sich vor allem Autozulieferer ansiedeln sollten. Die ersten Unternehmen fand er – in Deutschland. Die Firma AKG will hier für den russischen Markt Kühler für große Baumaschinen produzieren – für „ein Zehntel der Lohnkosten in Deutschland“. Bis zu dreihundert neue Arbeitsplätze sollen entstehen.

Stefan Tünnissen baut dort für die Tünnissen Spezialmaschinen GmbH eine lettische Dependance auf. Wurden dafür Jobs in Deutschland gestrichen? Im Gegenteil, sagt er, dem Engagement in Lettland sei es zu verdanken, dass der Betrieb zu Hause noch laufe. BEATE WILLMS