„Juschtschenko siegte überall“

Teilung der Ukraine ist vorüber, sagt der Politologe Bohdan Hud

taz: Warum hat der russische Präsident Putin auf Janukowitsch gesetzt?

Bohdan Hud: Putin hat die Herausbildung eines neuen geopolitischen Zentrums zur Staatspolitik erhoben, er will die ehemaligen Sowjetrepubliken eng an Russland binden. Für diese Politik wäre Janukowitsch der richtige Mann. Er wurde zu Sowjetzeiten zweimal verurteilt und ist daher erpressbar. Mit diesem Trumpf wäre es für Putin ein leichtes Spiel, Kiew zu weiteren Zugeständnissen zu zwingen.

Zudem gilt Janukowitsch als prorussisch …

Das stimmt nicht. Die Unterschiede zwischen ihm und Juschtschenko sind eher nicht in ihrer außenpolitischen Orientierung zu suchen, vielmehr handelt es sich um ganz unterschiedliche Politikertypen. Janukowitsch verkörpert die asiatische Despotie, die fremd für die Ukraine ist. Juschtschenko tritt für demokratische Werte ein. Es ist übrigens ein Mythos, dass Juschtschenko eine antirussische Politik machen würde. Er selbst hält dies für selbstmörderisch. Die Ukraine bleibt am russischen Markt interessiert und von den russischen Energielieferungen abhängig. Außerdem würde ich Janukowitsch nicht als prorussisch bezeichnen – als Gouverneur von Donezk hat er alles versucht, das Eindringen des russischen Kapitals in diese Region zu verhindern.

Was würde dann ein Sieg Juschtschenkos für Russland bedeuten?

Juschtschenko ist auf keinen Fall eine Gefahr für russische Interessen. Der Kreml wäre allerdings gezwungen, Kiew als einen gleichwertigen Partner zu akzeptieren. In diesem Sinne wäre ein Sieg Juschtschenkos sogar im Interesse des russischen Volkes, denn eine demokratische Entwicklung in der Ukraine würde einen Impuls für die Demokratie in Russland geben.

Hat Putin gerade davor Angst?

Durchaus möglich. Es ist vielleicht keine Gefahr für ihn selbst – er schließt eine dritte Amtszeit aus. Eine andere Frage ist, ob er eine Machtübergabe an einen Wunschnachfolger anstrebt, so wie ihm die Macht von Jelzin im Jahr 2000 übertragen wurde. Eine demokratische Ukraine würde ein solches Prinzip nie akzeptieren.

Stimmt die Rede von einer Spaltung der Ukraine in einen prorussischen und prowestlichen Teil?

Die Wahlen haben gezeigt, dass es keine Teilung im traditionellen Sinne gibt. Früher wurde oft die Grenze zwischen der k.-u.-k. Monarchie und dem Russischen Reich als Trennlinie angesehen. Diese Linie existiert nicht mehr. Juschtschenko hat in allen Regionen der Zentralukraine, aber auch im Norden und im Nordosten gesiegt. Er wurde sowohl von den ukrainischen als auch von den russischen Wählern unterstützt. Aber man versucht, den Osten gegen den Westen auszuspielen. So behaupten die Kommunisten, dass die Menschen aus der Westukraine dafür bezahlt würden, um Juschtschenko in Kiew zu unterstützen. In der Süd- und in der Ostukraine, wo die Menschen keinen Zugang zu den unabhängigen Medien haben, glaubt man solchen Unterstellungen.

Welche geostrategische Bedeutung hat die Wahl?

Der Sieg der Demokratie kann das geopolitische System in diesem Teil Europas verändern. Die Niederlage würde die Ukraine endgültig in ein postsowjetisches Reservat verwandeln, die Einflusssphären der EU und Russlands wären besiegelt. INTERVIEW: JURI DURKOT