Briefbomber sprengt sich in die Luft

Kurz bevor er zu einem Speicheltest gehen muss, bringt sich ein 22-Jähriger in Niederbayern um. Die Polizei identifiziert ihn als Absender einer Reihe von Briefbomben. Bayerns Innenminister Beckstein fordert Ausweitung der Fahndung per DNA-Analyse

AUS MÜNCHENJÖRG SCHALLENBERG

Sie waren nah dran, die Profiler des bayerischen Landeskriminalamtes. In einem wichtigen Punkt aber verschätzten sich die Spurenexperten und Psychologen monatelang: Als sie das Bild des Mannes skizzierten, der seit April 2004 eine Reihe von Briefbomben an Politiker und hohe Beamte in Niederbayern und München verschickt hatte, da beschrieben sie ihn als einen Einzelgänger von „querulatorischer, leicht kränkbarer Persönlichkeit“, der unauffällig bis zurückgezogen in oder bei der niederbayerischen Marktgemeinde Hutthurm nordöstlich von Passau lebt. Außerdem müsste er älter als 30 Jahre, wahrscheinlich auch als 40 Jahre sein sein.

Das alles trifft nach ersten Erkenntnissen auf Johann L. zu, der sich am vergangenen Freitag auf einer Wiese nahe Hutthurm selbst in die Luft sprengte – abgesehen davon, dass er erst 22 Jahre alt war. L. lebte nach Medienberichten bei seinem Vater und seiner Tante und galt als Einzelgänger ohne Freunde. Einen Beruf hat er nach seinem Abgang von der Hauptschule 1997 nicht erlernt. Er absolvierte lediglich seinen Zivildienst.

Nach einem DNA-Vergleich steht fest: Bei dem 22-Jährigen handelte es sich ohne Zweifel um den Attentäter. Offenbar sah er keinen Ausweg mehr als Selbstmord. Wie der leitende Oberstaatsanwalt Günther Albert erklärte, war L. für den Samstag zu einer Speichelprobe vorgeladen, die ihn mit hoher Sicherheit als den Versender der Briefbomben identifiziert hätte. Die Ermittlungen hatten sich auf die 5.000-Einwohner-Gemeinde Hutthurm konzentriert, weil dort bei einem Einbruch Blutflecken entdeckt worden waren, die mit DNA-Spuren an den Briefumschlägen übereinstimmten.

Insgesamt hatte die Polizei am vergangenen Wochenende 2.300 Männer zu dem Massen-Gentest bestellt. Es war bereits der zweite Versuch, den Täter per Genanalyse zu fassen. Beim ersten Test vor sechs Wochen hatte sich die Polizei gemäß den Vorgaben der Profiler auf Männer zwischen 40 und 60 Jahren konzentriert.

Obwohl ihm die Ermittler auf der Spur waren, verschickte L. noch im November zwei weitere Briefe mit Sprengstoff an den unterfränkischen Regierungspräsidenten Paul Beinhofer und an den Präsidenten der Oberfinanzdirektion München, Ulrich Exler. Wie meistens zuvor explodierten die Bomben nicht. Lediglich ein Sprengsatz hatte im August die Sekretärin eines Landrats im niederbayerischen Regen verletzt. Warum Johann L. insgesamt neun mit Schwarzpulver und Zündern gefüllte und laut Polizei zunehmend raffinierter präparierte Umschläge versandt hatte, bleibt vorläufig ein Rätsel. Zu den Empfängern gehörten ein CSU-Landrat ebenso wie eine SPD-Bundestagsabgeordnete oder der polnische Generalkonsul in München.

Polizei und Staatsanwaltschaft haben am Wochenende mit der Vernehmung der Angehörigen begonnen. Nach einer Durchsuchung von L.s Zimmer haben die Beamten diverse Zünder und Knopfbatterien entdeckt. Staatsanwalt Albert vermutet daher, dass der Attentäter weitere Anschläge geplant hatte und möglicherweise vor seinem Tod noch Briefbomben abgeschickt hat. Zudem hatte L. vielleicht noch Mitwisser und Mittäter, heißt es in Polizeikreisen.

Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) wertete den Selbstmord von L. umgehend als großen Erfolg für den Einsatz von Massen-DNA-Tests und forderte eine Ausweitung der umstrittenen Fahndungsmethode: „Es ist überfällig, dass der genetische Fingerabdruck in allen Fällen, in denen auch die erkennungsdienstliche Behandlung zulässig ist, möglich wird“, sagte er am Wochenende. Sämtliche beim Gentest in Hutthurm gewonnenen Speichelproben sollen allerdings vernichtet werden.

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