Auch Österreich ergeht sich im Pisa-Geschrei

Bei Pisa 2000 schnitt Felix Austria gut ab – weil die Berufsschüler falsch gewertet wurden. Bei Pisa 2003 aber sackt Österreich um zehn Plätze ab

Rutscht nun auch die Kulturnation Österreich ins Reich der Analphabeten? Nächste Woche wird die neue Pisa-Studie mit Daten aus dem Jahr 2003 veröffentlicht, doch sind brisante Details bereits frühzeitig durchgesickert. In Wien der größte Aufreger: In der Lesekompetenz sind Österreichs SchülerInnen von Rang 10 auf Rang 19 abgesackt. Damit liegen sie nur mehr einen Hauch vor den deutschen Legasthenikern.

Wie hatte man doch vor drei Jahren im Bildungsministerium frohlockt, als Pisa den Nachfahren Nestroys und Raimunds bescheinigte, die Erben Goethes und Lessings in Lesekompetenz auszustechen – und zwar deutlich. Das tat der austrischen Volksseele gut und brachte de Deutschen viel Schmäh. „Jetzt kommt es darauf an, sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen, damit wir beim nächsten Pisa-Vergleich von einem der besten Plätze Europas zur Weltklasse aufrücken“, hatte Bildungsministerin Elisabeth Gehrer, ÖVP damals gesagt – und tat genau das: die Hände in den Schoß legen. So sieht es zumindest die Opposition. Der grüne Bildungssprecher Dieter Brosz klagt, dass viele Länder sofort nach der 2000er Pisa-Studie begonnen hätten, ihre Schulsysteme zu verbessern. Nicht so Österreich, das die letzten drei Jahre verschlafen habe.

Unbestritten ist, dass Pisa 2000 zu positiv ausgefallen ist, weil die Berufsschüler zu gering gewichtet worden waren. Diesen methodischen Fehler hat das Ministerium inzwischen zugegeben. Aber um die leseschwachen Berufsschüler, die ähnlich wie die Risikoschüler in Deutschland das Landesergebnis wie ein Bleigewicht nach unten ziehen, geht es inzwischen gar nicht mehr. Gestritten wird darüber, wie die neue österreichische Legasthenie zu bekämpfen ist. Bildungsministerin Gehrer will zunächst ein Lese-Screening haben, eine Kontrolle des kompletten Jahrgangs, um eine breitere Basis für politische Reaktionen zu haben. Dagegen meinen die Grünen, dass eine Zukunftskommission längst Rezepte entworfen hat – eine Kommission, die Gehrer selbst eingesetzt hatte.

Gehrers Querdenker raten, den Abbau der sehr frühen Trennung zwischen Pflichtschule und Gymnasium – ein Sakrileg, genau wie im benachbarten Deutschland. Die Grünen ärgern sich, dass die Ministerin die gegliederte Schule zum Tabu erklärt. Sie wolle sich nur jene Punkte herausklauben, die ihr ideologisch in Konzept passen. Die Schule für alle gehört nicht dazu. Das seien Rezepte von gestern, knurrt Gehrer – und verweist auf die schlechten Ergebnisse des Ministaats Luxemburgs, das ein integratives Schulsystem habe. Und das viel gepriesene Finnland habe einen Ausländeranteil von nur 1,9 Prozent – während in Österreich rund 10 Prozent der Schüler eine andere Muttersprache als Deutsch haben. In Wien ist es oft sogar die Mehrheit.

In der pädagogischen Praxis wird die soziale und ethnische Spaltung durch die Schule freilich nicht aufgehoben, sondern verschärft: Ausländerkinder werden routinemäßig in Sonderschulen abgeschoben während die Sprösslinge aus Akademikerfamilien fast automatisch die Gymnasien besuchen. Zwar ist das Schulsystem etwas durchlässiger als in Deutschland, so ist es nicht nur theoretisch möglich, von der Hauptschule ins Gymnasium aufzusteigen. 2001 waren es immerhin 5,8 Prozent. Aber die Budgetschnitte der letzten Jahre haben besonders krass Integrationsmaßnahmen und Förderunterricht betroffen.

Schuldinge sind in Österreich schwer zu verändern, weil das einer Zweidrittelmehrheit im Parlament bedarf – ein Relikt aus der Zeit der großen Koalition, als ÖVP und SPÖ verhindern wollten, dass der jeweils andere den künftigen Generationen seinen weltanschaulichen Stempel aufdrückt. Die SPÖ, inzwischen aus allen Einflussnischen verdrängt, will sich das Machtmittel daher nicht aus der Hand nehmen lassen. RALF LEONHARD, WIEN