Mit einem Bein im Gewahrsam in Den Haag

Ramush Haradinaj – der neu gewählte Premierminister von Kosovo könnte noch dieses Jahr verhaftet werden

Für die einen ist der 36-Jährige ein makelloser Kriegsheld, der die Albaner gegen die Serben verteidigt hat. Weit mehr Albaner im Kosovo jedoch fürchten ihn: Ex-UÇK-Komandeur Ramush Haradinaj, seit Montag gewählter Premierminister des Landes.

Hinter dem freundlich-glatten Gesicht verberge sich ein knallharter Mann, der ins organisierte Verbrechen verwickelt sei und nicht davor zurückschrecke, politische und geschäftliche Gegner zu liquidieren, meinen seine Kritiker. Die Serben werfen Haradinaj vor, im Krieg 1997–99 Kriegsverbrechen begangen zu haben. Der frühere serbische Justizminister Vladan Batić spricht von 67 Morden und hunderten von Entführungen. Haradinaj soll als Befehlshaber der Untergrundarmee UÇK sogar selbst mehrere Albaner, Serben und Roma ermordet haben.

Auch wenn die Ermittler von Den Haag um die Parteilichkeit mancher Quellen wissen, so liegen doch tatsächlich erhebliche Verdachtsmomente vor und es verdichten sich die Informationen, dass Haradinaj noch vor Ende des Jahres verhaftet und nach Den Haag gebracht werden könnte.

In dem von Bardh Hamzaj herausgegebenen Buch „Erzählungen über den Krieg und die Freiheit“ gibt Haradinaj bereitwillig über sich selbst Auskunft. 1968 in der Stadt Decani in Westkosovo geboren, interessierte er sich nach der Schule für Atomphysik und wollte Naturwissenschaften studieren. 1988 leistete er freiwillig seinen Wehrdienst in der jugoslawischen Volksarmee ab und ist noch heute stolz darauf, nach drei Monaten zum Unteroffizier und Spezialisten für chemische Kampfstoffe avanciert zu sein.

Angesichts der 1989 von Belgrad geführten antialbanischen Kampagne emigrierte Haradinaj, lebte fortan in der Schweiz, in Frankreich und auch in Albanien und organisierte sich in militanten Exilkreisen. Er glaubte schon damals, dass Kosovo nur mit Gewalt zu befreien sei, erklärt er in dem Buch, zu einer Zeit also, als sein jetziger Gönner, Präsident Ibrahim Rugova, für friedlichen Widerstand eintrat. Schon 1994 schmuggelte Harandinaj Waffen nach Kosovo.

1998 kehrte er endgültig zurück und stieg schnell zum Kommandeur der UÇK in Westkosovo auf. Er wurde zu einer legendären Gestalt, weil es ihm gelang, der serbischen Armee mit seiner Guerillatruppe empfindliche Niederlagen beizubringen. Nach dem Einmarsch der Nato im Juni 1999 übernahm er sofort auch die zivile Gewalt in Westkosovo. Er gründete die albanische Fortschrittspartei (AAK), die führende Partei in „seiner Region“.

Von Serben vertriebene und wieder nach Kosovo zurückkehrende Geschäftsleute aus Peje mussten nach deren Aussagen Schutzgelder an Haradinaj bezahlen. Einer seiner Freunde, der „Zigarettenhändler“ und Besitzer von Zeitungen sowie Radio- und Fernsehstationen, Ekrem Lluka, soll einer der Bosse der kosovoalbanischen Mafia sein. Bislang konnte Haradinaj jedoch nichts nachgewiesen werden.

ERICH RATHFELDER