Wasserstoffblond gegen Gefallsucht

Signale aus Singapur: Beim Performance-Festival sitzt man in farbenfrohen Gewändern auf Bastmatten

Im Dunstkreis von Kunst und bohemistischem Lebensstil ist es wieder cool, sich mit Vergangenheit zu befassen.

Mitten in der Woche in Singapur mit der lokalen Gewohnheit zu brechen, allabendlich essen oder trinken zu gehen ist nicht einfach. Kino hat meistens wenig Sinn ohne Untertitel, Konzerte gibt es kaum, und auch andere Kulturveranstaltungen sind selten. Aber wir haben Glück: In der Substation, einem der wenigen Häuser für Offkultur in der Stadt, findet ein Festival mit Performancekunst statt. Neun junge malaiische Theatergruppen haben sich als Teater Ekamara zusammengeschlossen und sich unter dem Label „Isatana 2000“ vorgenommen, in jeweils 15 Minuten ihr Verhältnis zur Monarchie darzustellen. Dabei soll es, wie dem Programmheft zu entnehmen ist, um die Gefallsucht des Theaters gehen – eine Crux, die das traditionelle, höfische Theater Malaysias ebenso betroffen habe wie heute das moderne, subventionierte Theater.

Im Singapurer Alltag hat man oft das Gefühl, dass die „Ureinwohner“ der Stadt, die muslimischen Malaier, im öffentlichen Leben kaum eine Rolle spielen und dass sie unter der chinesischstämmigen Bevölkerung, die die Stadt so energisch nach vorne bringt, eher als unkultiviert und faul gelten. Aber an diesem Abend in der Substation scheint alles umgekehrt. Junge Menschen, deren Eltern oder Großeltern aus China kamen, sitzen in farbenfrohen Gewändern und mit Rastas um eine Bühne herum – im Schneidersitz und auf Bastmatten natürlich. Nichts scheint hier plötzlich wichtiger zu sein, als möglichst multikulturell zu wirken. Es scheint, als sei das Malaiische überhaupt plötzlich das große, interessante Andere.

Viele der malaiischen Theaterleute, die heute hier auftreten, wohnen in Singapur. Ihr Alltag unterscheidet sich kaum von dem der Chinesen: In der Schule wird auf Englisch gelehrt, und auch wenn sie der getrennte Fremdsprachenunterricht ihrer eigenen Kultur zuführen soll, können sie am Ende oft ebenso wenig Malaiisch wie ihre chinesischen Schulkameraden Mandarin. Das große Reiseziel ist hier weder Malaysia noch China, sondern Australien und Amerika. Erst hier, im Dunstkreis von Kunst, Konsumkritik und bohemistischem Lebensstil, ist es plötzlich wieder cool, sich mit Vergangenheit zu befassen.

Der Abend in der Substation bringt viel Ethnokitsch, Kreativität mit Stoff und Betroffenheitskultur – es gibt aber auch ein paar Performances, die Spaß machen. Eine davon ist „Generasi: Dodain“ von Rizman Putra und Sabrina Annarhar. Im Hintergrund der Bühne sind über Monitore Schnipsel aus Interviews mit alten Kopftuch tragenden malaiischen Frauen zu sehen. Vorne sitzt Sabrina Annarhar auf einem Barhocker und kommentiert mit seltsamer, nonverbaler Stimmkunst. Mehr noch als sie spitzt Rizman Putra das Befremden zu, das ihn von diesen Frauen aus der Generation seiner Großmütter trennt. Seine Tanzperformance mit Schleier und komischen Grimassen ist witzig und spielt mit den Grenzen von Geschlecht und von ernsthafter Kunst. Erstaunlich für einen, der sonst eher in angesagten Künstlerkollektiven wie KYTV, Kill Your TV, unterwegs ist – einer Gruppe, die vor allem die Inszenierungsformen der Medien seziert und damit in ganz Südostasien bekannt geworden ist wie eine Popgruppe.

Der Höhepunkt des Abends ist aber zweifellos die Performance „Bikini“ von Muhammad Najib Soimann. Man hat schon einen Augenblick Angst, es könnte um Folklore gehen, als zehn traditionell gekleidete Männer die Bühne entern und sich zu einer ansehnlichen Trommelgruppe gesellen. Erst nach einigen Schrecksekunden erkennt man: Ein paar Mitglieder der Trommelgruppe tragen wasserstoffblonde Perücken. Die Kostüme wirken auf Nichtkenner wie uns sehr, sehr bunt. Und Muhammad Najib Soimann gebärdet sich wirklich außerordentlich expressiv. Man bemerkt das ausgelassene Kichern im Publikum und liest im Programmheft nach: aha. Hier geht es nicht um Tradition, hier geht es darum, wie man sich heute Tradition ausdenken könnte. Der malaiische Text von Muhammad Najib Soimann handelt von einem sehr potenten Stammesfürsten, der gar nichts kennt und sich deshalb mit seiner eigenen Schwester zusammentut. 4 seiner 13 Kinder kommen deshalb mit Down-Syndrom zur Welt.

SUSANNE MESSMER