Aus Stein wird Schnee

Rebecca Menzels Buch „Jeans in der DDR. Vom tieferen Sinn einer Freizeithose“ erkundet, wie sich der Symbolwert der Jeans in der DDR veränderte: vom verpönten zum akzeptierten Kleidungsstück

VON KATRIN KRUSE

Am Anfang war allein das Tragen schon Rebellion. Dann wurde die Jeans zum Zeichen und schließlich, am Ende, trugen sie alle, snow-washed. Nicht umsonst stellt Rebecca Menzel ihrem Buch „Jeans in der DDR. Vom tieferen Sinn einer Freizeithose“ eine Hymne voraus: „Ich meine, Jeans sind eine Einstellung und keine Hosen“, so heißt es 1972 in Ulrich Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W.“. Schließlich war die „Nietenhose“ nie nur Kleidungsstück, sondern immer auch Symbol der Gesinnung ihres Trägers. Doch wie ist die Jeans gelesen worden? Entlang dieser Frage zeichnet Menzel, 1975 geboren und in Westberlin aufgewachsen, die Geschichte der Jeans in der DDR nach: wie sich ihr Symbolwert über die Jahre veränderte, wie man ihn zu verschieben, zu ignorieren suchte und wie schließlich nur mehr ein modisches Raunen blieb. Was im Verbot und der Duldung der Jeans sichtbar wird, ist nicht zuletzt die Geschichte der DDR selbst: der Wechsel von Abgrenzung und Öffnung, von Repression und Einbindung.

Wer in den 50er-Jahren Jeans trug, der hatte Westbeziehungen oder den Wagemut, die Hosen über die Grenze zu schmuggeln. So schillerte die Jeans von Anfang an. Genau in dieser Unkonkretheit macht Menzel das subversive Potenzial aus. In den 50ern trugen die „Halbstarken“ Jeans, dann kam der Rock ’n’ Roll. Es gelte, die „deutsche Kultur gegen die amerikanische Lebensweise zu verteidigen“, sagte Walter Ulbricht in einer Rede 1958: Die Nietenhose, das war Kapitalismus pur. Und dass sie nach dem Mauerbau 1961 noch schwerer zu beschaffen war, hat das Jeansbegehren nur verstärkt. Mit dem FDJ-Hemd jedenfalls ging die Jeans noch nicht zusammen: „Es ist ein Trugschluss zu glauben, man kann sich kleiden und geben wie die Rolling Stones und anerkannt und geachtet werden wie ein junger Sozialist“, hieß es 1966 in der FDJ-Zeitung Junge Welt.

Als es 1968 in den neuen Jugendmodeläden erstmals blaue Baumwollhosen in „Cottino-Qualität“ gab, trat die Nietenhose in eine neue Dimension ein: in die Mode. Die Jeans traten, so Menzel, in „Systemkonkurrenz“ um Schnitt, Farbe und Material: sozialistische Herkunft gegen kapitalistische Produktion, Wisent, Boxer und Goldfuchs gegen Levi’s, Wrangler und Lee. Die Ostjeans waren äußerst adrett, hatten aber ein Materialproblem: Die Baumwolle war knapp und nicht langfaserig genug, und das Blau war auch nicht so richtig jeansblau.

Ohnehin lief die Mode der Planwirtschaft zu schnell voraus. „Hüfthose, knalleng oben, so dass man sie eigentlich mit einer Kneifzange anziehen musste“, beschreibt ein Zeitzeuge rückblickend das modische Gebot. Lederkeile wurden in den Schlag eingenäht: eine „Modespielerei“, die 1974 selbst die Junge Welt empfahl. Seit Erich Honecker 1971 den Parteivorsitz übernommen hatte, setzte sich in Sachen Jeans die Ansicht durch, von der Begeisterung für westliche Mode sei nicht auf politische Orientierung zu schließen. Wer mit einer Jeans provozieren wollte, der trug seine Levi’s zerschlissen und dazu lange Haare und Bart, Parka und Jesuslatschen: Die Schreckensfigur der späten Siebziger war der „Gammler“. Mitte der 80er kamen im Westen die Stone-washed-Jeans auf, die im Osten als Snow-washed-Modelle geführt wurden. Spätestens jetzt, in der Simulation von Altersspur und Geschichte, waren die Jeans restlos in die Mode überführt – und als die Mauer fiel, war snow-washed schon gnadenlos unmodern.

„Mit den richtigen Nietenhosen auf dem Leib hatte man schon per se ein Statement gesetzt, ohne sich groß artikulieren zu müssen“, heißt es im Nachwort. Wie dieses wortlose Statement verstanden wurde, das untersucht Rebecca Menzel detailgenau, wenn auch bisweilen wiederholend. Es ist eine spannende Geschichte, deren Komik die Autorin nicht unterschlägt. Was sie aber versäumt und was auch die Zeitzeugenberichte nicht leisten, ist, jenes „mehr“ der Jeans zu erfassen.

Heute ist das Rebellische ohnehin Erinnerung. Und die Jeans im Osten Deutschlands, so Menzel, sei wieder das, was sie ganz früher, in ihren ersten Anfängen einmal gewesen ist: eine „unglaublich praktische Freizeithose“.

Rebecca Menzel: „Jeans in der DDR. Vom tieferen Sinn einer Freizeithose“. Christoph Links Verlag, 200 Seiten, 14,90 €