zwischen den rillen
: Slow groovender Appetizer

Gwen Stefani beweist mit „Love.Angel.Music.Baby“ vor allem ihre solide Ausbildung in Imageproduktion

Diesen Winter kommt niemand an ihr vorbei. Die Plakatsäulen sind gebucht, auf MTV und Viva läuft die erste Single „What you waiting for?“ der CD „Love.Angel.Music.Baby“ in der Rotation, selbst Vogue soll Interesse für eine zwölfseitige Fotostrecke angemeldet haben. Keine Frage, Gwen Stefani ist nicht mehr das girl next door, das als Frontfrau von No Doubt die Herzschmerzballade „Don't speak“ seufzt oder zu flippigen Ska-Rhythmen mit dem Waschbrettbauch rollt. Stattdessen ist die platinblondierte Stefani das It-Girl der Saison: das Mädchen, das es hat. Was genau, weiß keiner genau, aber selbst Martin Scorsese ist verrückt nach ihr und hat sie für seinen Film „The Aviator“ die Rolle der Jean Harlow spielen lassen.

Nun sind Originale im Pop rar gesät, so will es die Liebe der Massen. Aber auch eine Karriere als Abziehbild macht Mühe: Für gut gefärbte blonde Haare muss man einige Stunden beim Friseur verbringen, komplizierte Fußnagellackierungen gehen ins Geld, und bis der Augenaufschlag von Marilyn Monroe oder das Kieksen von Cindy Lauper stimmen, braucht es ziemlich viel Übung. Doch das ist bei Gwen Stefani kein Problem, schließlich hat sie mit No Doubt 17 Jahre Erfahrung, hat sich von kleinen Bühnen hoch in die Charts gearbeitet und eine entsprechend solide Ausbildung in Imageproduktion. Was also macht das mittlerweile ein wenig in die Jahre gekommene All-American-Girlie ausgerechnet jetzt erfolgreich?

Da ist zunächst einmal die Liebe zum Konsum. Der Start in die Solokarriere erinnert bei Stefani schwer an eine Shopping-Tour, auf der eingetütet wird, was die Regale hergeben: New Wave, Boller-Disco, Electro, selbst bei schweinigeligen 80er-Jahre-Rock-Anleihen kennt sie keine Hemmungen. Auf Stücken wie „Harajuku Girls“ rast der dazugehörige Text von Modeschöpfer Yoji Yamamoto zu Vivienne Westwood und John Galliano querbeet durch die Fashion-Welt, als wäre Haute Couture eine Ware vom Wühltisch. In dieser Maßlosigkeit blitzt etwas von der launigen Renitenz des echten Popstars auf, der von kulturellen Feinheiten unbeleckt die großen Namen der Mode verrührt, weil er weiß, dass er letztlich bloß die Sehnsucht nach Labels bedient. Dann ist Stefani ein schickes Unterhaltungsmonster, das fortwährend Zeichen auf Zeichen schichtet, bis das Kartenhäuschen der Distinktion bedenklich zu wackeln beginnt.

Auf der anderen Seite hat sich Stefani bei allem Wegwerfcharme, der mit seinen lärmenden Beats und billigen Mitsing-Melodien auf bald jedem Stück von „Love.Angel.Music.Baby“ zu hören ist, über die letzten Jahre auch ein Idealbild zurechtgemodelt. Als sie 2001 mit der Rapperin Eve im Duett „Let me blow ya mind“ aufgenommen hat, war der Wunsch offenbar groß, endlich etwas von der Credibility des US-HipHop abzuschöpfen. Stefani wollte die weiße Partykönigin sein, die angesichts der blinkenden Sexyness ihrer afroamerikanischen Kontrahentinnen eine gute Figur abgibt: Deshalb hat sie sich in eng sitzenden Trainingshosen und spitzenbesetztem BH als Bitch inszeniert, die das coole Signifying des Rap beherrscht und allen Pimp- und Ho-Regeln zum Trotz nicht ins Pornocliphafte abdriftet.

Auf CD-Länge läuft dieses Spiel mit Identitäten jedoch merklich aus dem Ruder. Man hört zwar die lasziv kickenden Beats von Dr. Dre oder ein verschwitztes Silk-Soul-Sample der Isley Brothers im Hintergrund surren. Aber über die erotische Spannkraft von R'n'B verfügt Stefani damit noch lange nicht; eher scheint ihr Gesang auf einer weit vom Geschehen entfernten Tonspur abzulaufen, als hübsche, manchmal auch spicy Beigabe der gleich im Dutzend aufgefahrenen Produzentenriege. Wenn sie mit André 3000 von Outkast auf dessen Martin-Luther-Ode „Long way to go“ Sätze singt wie „When snow hits the asphalt, cold looks and bad talk come“, ist dieser Appell gegen sexuelle Apartheid kaum mehr als ein Teenagertraum aus Goodwill und kalkulierter Übertretung, ein slow groovender Appetizer eben, für die schnelle Nummer zwischendurch, egal ob auf der nächsten Weihnachtsfeier oder nach dem Club. Das ist fatal für ein Neo-Vamp: Unter ihrem eigenen Namen spielt Gwen Stefani nur eine Nebenrolle. 20 Zentimeter hohe Absätze machen noch keine neue Madonna. HARALD FRICKE

Gwen Stefani: „Love.Angel.Music.Baby“ (Universal)