Potente Organismen

Seit Dienstag gibt es einen Audioguide für die Flick-Sammlung. Die Ansagen sollen den Besuchern auf die Sprünge helfen. Bei jedem vierten Kunstwerk allerdings heißt es einfach: Es helfe, sich seine eigenen Gedanken zu machen

Die Flick-Sammlung macht schlechte Laune. Genialerweise jetzt, wo sie gezeigt wird, erst richtig. Noch kurz vor ihrer Eröffnung etwa sah Die Welt Flick nicht von Kritikern, sondern hasserfüllten Kleingeistern umstellt. Jetzt schreibt sie über „das ernüchternde Gefühl, einem Riesenschwindel aufgesessen zu sein“. Der Riesenschwindel meint: die endlich gezeigten Exponate. Meint die Ausstellung, von der Bundeskanzler Gerhard Schröder als plötzlich eingesprungener Kunstexperte noch bei ihrer Eröffnung sagte, es hieße die Leute bestrafen, würde man sie ihnen vorenthalten. Nun sieht es allerdings so aus, als ob sich die Leute eher durch die Schau bestraft fühlten. Denn wenn sie aus dem Hamburger Bahnhof kommen, dann murren sie und sind offenkundig schlecht gelaunt.

Folgerichtig erkannte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz so genannten Vermittlungsbedarf und nun also dräut Rettung durch den Audioguide. Es muss höchste Not geherrscht haben, denn den akustischen Führer, der in seinem Design an eine Mischung aus Kochlöffel und Telefonhörer gemahnt, gibt es ganz und gar umsonst. Er ist im Ticketpreis von 9 Euro inbegriffen. Sonst muss man ja immer extra zahlen. Nun, jetzt zahlt eben die Stiftung Preußischer Kulturbesitz extra, aber das ist sie im Falle Flick ja schon gewohnt.

Bislang eingenommene Eintrittsgelder finanzierten den Guide, in dem die Kunstwerke gerne als Organismus beschrieben werden. Etwa Dieter Roths „Gartenskulptur“ oder Jason Rhodes „Schöpfungsmythos“, der übrigens von „männlicher Potenz“ und „Motorkraft“ handelt. Gibt es da einen Zusammenhang? Falls ja, scheint er evident zu sein, denn zu hören ist dazu nichts. Dann setzten Sie mal Ihren Drillbohrer ein, Herr Schuster! Schalten Sie Ihr Gehirn ein, denn bei bestimmt jedem vierten Kunstwerk hört der zunehmend amüsierte Besucher, am besten sei es, er mache sich „seine eigenen Gedanken“. Ach ja?!

Tun wir’s doch mal: Interessanter als die Besprechungen einzelner Kunstwerke ist dann die Tatsache, dass einige – und auch: welche – Kunstwerke keiner Erläuterung bedürfen. So etwa das Paradestück der Ausstellung, Martin Kippenbergers „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen“. Dabei hätten wir hier jetzt wirklich gerne nähere Aufklärung. Wie manifestiert sich die von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz viel beschworene Auseinandersetzung Flicks mit der Familiengeschichte anhand der von ihm gesammelten Kunst nun ausgerechnet in diesem Werk? Wo man bei seinem Großvater und Erblasser beim besten Willen das Hakenkreuz nicht übersehen kann? Wäre „dummdreist“ hier der richtige Begriff?

Diedrich Diederichsen brachte ihn ins Spiel, am Donnerstag vergangener Woche, als es im HAU 2 hieß „Heil dich doch selbst! Die ‚Flick-Collection‘ wird geschlossen. Vorträge. Statements. Visuals.“ Es hat sich nämlich doch noch ein Bündnis aus Antifaschistischer Linker, b_books, Texte zur Kunst und einer sehr langen Liste von Unterstützern zusammengefunden, die den Protest, der sich vor der Eröffnung der Friedrich Christian Flick Collection formulierte, nun während ihrer Laufzeit weiterentwickeln möchte. Cool analysierte Diederichsen die so genannten Foto-Opportunities, also die Gelegenheiten, bei denen sich Flick neben einem Exponat seiner Sammlung fotografieren lässt.

Mit Vorliebe stellt sich Flick dabei neben seine Kippenbergers. Da Flick offenkundig deren Witz nicht richtig mitkriegt, würde man ihm jetzt gerne den Audioguide empfehlen. Etwa für die „Acht Bilder zum Nachdenken, ob’s so weitergeht“. Nur leider, wie gesagt, darüber will auch der Audioguide nicht nachdenken. BRIGITTE WERNEBURG