Süßer die Handys nie klingen

Bei Anruf Lieblingssong: Mit neuen Klingeltönen machen Firmen ein Millionengeschäft. Der Kunde wird dafür schon mal abgezockt. Dagegen gibt es eine Unterschriftenaktion

LEIPZIG taz ■ Wer MTV oder Viva einschaltet, kann es weder übersehen noch überhören: Der individuelle Sound auf dem Handy ist in. Mindestens mehrstimmig, wenn nicht gleich als real music. Die Anbieter haben ihre Produkte in diesem Jahr mächtig beworben: Der Marktführer Jamba! AG hat in den ersten neun Monaten des Jahres in Deutschland 53,2 Millionen Euro in Fernsehwerbung investiert. Das hat das Medienforschungsunternehmen Nielsen Media Research ausgerechnet. Nur einer hat den TV-Sendern höhere Einnahmen beschert: McDonald’s. Die Fastfoodkette hat sich die Promotion seiner Burger noch mal 1,4 Millionen Euro mehr kosten lassen.

Auch wenn Jamba! keine Zahlen nennen will – „dass es sich lohnt“, bestätigt Tilo Bonow, „Manager Corporate Communications“. Und nein, Ärger mit Musikern, die ihre Songs verunstaltet sehen, habe Jamba! nicht. Im Gegensatz zu einigen Konkurrenten habe man mit „allen relevanten“ Musikkonzernen Verträge abgeschlossen. Dass einige Künstler wie Herbert Grönemeyer und Wir sind Helden nichts davon halten, ihre Songs zu Klingeltönen verarbeiten zu lassen, sei ihre Sache. Die über zu niedrige Umsätze jammernde Musikindustrie jedenfalls sei voll auf den Zug aufgesprungen. „Die leben zum Teil davon“, sagt Bonow. Außerdem seien Klingeltöne ein gutes Marketinginstrument für CD-Verkäufe.

Bereits letztes Jahr wurden mehr Klingeltöne als CD-Singles verkauft. Die amerikanische Verisign, die Jamba! Mitte des Jahres aufgekauft hat, führt in ihrem Bericht für das dritte Quartal Jamba!-Umsätze von 73,5 Millionen US-Dollar auf. Mittlerweile sollen Labels sogar die Klingeltonwerbung bezahlen, statt Werbung für ihre eigenen Musik-CDs zu machen. Bei Jamba! kostet es in der Regel 1,99 Euro, sich einen einzelnen polyphonen Klingelton aufs Handy schicken zu lassen. Ganz grob geht jeweils ein Drittel an die Netzbetreiber, eins an den Anbieter wie Jamba! und eins an Musikindustrie und Künstler.

Allerdings sind nicht alle glücklich mit dem Geschäftsmodell. „Vielfach ist das Handy einer der Gründe für den Einstieg in eine Schuldenkarriere“, sagt Christian Fronczak vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Die aggressive, oftmals wettbewerbswidrige Werbung nutze die Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen aus. Mal fehlten Preisangaben ganz, mal seien sie versteckt. Oft erfahre man erst bei der nächsten Abrechnung, dass man nicht nur einen einzelnen Ton bestellt hat, sondern ein Abo. Abgebucht wird der Monatspreis, ob das Angebot genutzt wird oder nicht. Fronzcak: „Zumeist erhält man für viel Geld wenig Gegenleistung.“ Ein kompletter Song als MP3 kostet nur die Hälfte eines Klingeltons, bei dem häufig nicht mal der Künstler seine Melodie wieder erkennt.

Die Nutzer ficht das nicht an. Die Wachstumsraten beim Verkauf von Handyklingeltönen und Handyspielen sind dreistellig. Der individuelle, stets aktuelle Klang ist zum Statussymbol geworden. So gibt es bei den Musiksendern kaum noch klingeltonfreie Werbeblöcke.

Reimer Stegelmann hat dagegen eine Unterschriftenaktion organisiert. „Wir wollen keine Frösche, keine Ratten und keine Titten mehr auf unseren Mobiltelefonen“, sagt er. Auf http://votenow.cell5.com/ haben in den ersten drei Wochen fast zehntausend Leute unterschrieben.

Darauf, dass sich der Hype bald von alleine legt, darf Stegelmann wohl trotzdem nicht hoffen. Jamba!-Mann Bonow ist überzeugt davon, dass das gute Geschäft noch „die nächsten Jahre“ anhalten wird.MATTHIAS BERGT