Die Welle überraschte alle

In Sri Lanka sind die Behausungen von Migranten ins Meer gespült worden. In Thailand sind die Fluten ein Desaster für die Tourismusindustrie
AUS COLOMBO RALF LEONHARD

Thailand ist das begehrteste Reiseziel Südostasiens, jährlich kommen zwischen zehn und zwölf Millionen Urlauber

Ein Hotelzimmer mit Blick auf den Strand. Das Fenster steckt allerdings nicht mehr in der Wand. Es steht, mit zerbrochenen Scheiben, an einem dürren Baum gelehnt. Der Rest des Hauses wurde weggespült oder liegt unter den Trümmern vergraben, die hier am Strand von Panadura, rund 25 Kilometer südlich der Hauptstadt Colombo, aufgehäuft liegen. Der Ozean hat sich zwar seit der Flutwelle vom Sonntag beruhigt, doch das Wasser wirkt noch immer nicht einladend.

Soldaten haben die Straßen vom Schutt befreit, jetzt patrouillieren sie durch die verwüstete Landschaft, um Plünderungen zu verhindern. Hausbesitzer wühlen in den feuchten Trümmern in der Hoffnung, den einen oder anderen brauchbaren Gegenstand zu bergen. Yanta hat noch Glück gehabt. Der 50-jährige Tamile, der sich sein Geld als Fremdenführer verdient, hat nur sein Haus verloren. Seine Frau und seine Tochter liegen mit Verletzungen im Krankenhaus. Manche Nachbarn hat das Meer mitgenommen. Nichts habe er gehört, sagt er. Plötzlich sei das Wasser gestiegen und gestiegen.

Die Flutwelle, so bestätigen alle Überlebenden, kam völlig unerwartet. Kein Frühwarnsystem, kein Radio hat die Anwohner gewarnt, dass das verheerende Beben vor der fernen Küste von Sumatra ein Tsunami auslösen könnte.

„Wir sind an alle möglichen Katastrophen gewöhnt“, sagt Wijitha Kannangara vom Sarvodaya-Friedenszentrum: „Überschwemmungen, Dürren, Erdrutsche, aber so etwas haben wir noch nicht erlebt.“ Das Sarvodaya-Zentrum in Moratuwa, 15 Kilometer südlich von Colombo, normalerweise eine Oase buddhistischer Einkehr, hat sich über Nacht in eine Einsatzzentrale für Soforthilfe verwandelt. Erste private Spenden wurden blitzschnell zusammengetragen und an die Opfer verteilt. Dank 365 Verbindungsleuten landesweit, die die Informationen vor Ort in kürzester Zeit sammeln, sei Sarvodaya weit effizienter als die Regierung, versichern die Helfer stolz. Ladungen mit Kleidung, Medizin und Lebensmittel sind in entlegene Gemeinden an der Südküste unterwegs, von denen man nicht weiß, ob man sie erreichen kann und wie viele Menschen zu versorgen sind.

Die Uferstraße in Panadura bietet eigentlich keinen Blick auf den Strand. Zwei, drei Reihen von Häusern und Hütten verbauen die Sicht. Jetzt stehen nur noch die wenigen Betonbauten. Die meisten der jetzt zerstörten Holzhütten wurden illegal errichtet. Das war möglich, weil der Strand der Regierung gehört und von niemandem als Privateigentum reklamiert werden kann. Deswegen lassen sich gerade dort die Armen nieder: Migranten aus der Bürgerkriegsregion, verarmte Bauern, Slumbewohner aus der Stadt, denen es bei der Großfamilie zu eng geworden ist. Die lokalen Politiker, die auch auf die Wählerstimmen der Armen hoffen, wollen keine Räumung anordnen. Für viele wurde die billige Bleibe jetzt zur tödlichen Falle. Wijitha Kannangara schätzt, dass allein in diesem Bezirk mindestens 15.000 Häuser weggespült wurden. Die Obdachlosen werden in Kirchen und buddhistischen Tempeln provisorisch untergebracht.

Mit nur acht gesicherten Todesopfern ist die Region Colombo noch vergleichsweise glimpflich davongekommen. Hier an der Westküste hatte die Flutwelle bei weitem nicht die Kraft wie im Süden und Osten Sri Lankas, wo sie ungebremst von Indonesien kommend hereinbrach. Die Straße und Eisenbahnlinie zur alten niederländischen Kolonialstadt Galle, ein beliebtes Ausflugsziel für Urlauber, ist unpassierbar. Der Morgenzug wurde ins Meer gerissen und liegt jetzt wie ein verunglücktes Insekt im Schlamm.

Auch Jaffna, die Tamilenhochburg im Norden, meldet 2.500 Tote. Die Städte Trincomalee und Batticaloa an der Osteküste stehen unter Wasser. Die Opferzahlen sind nach wie vor widersprüchlich. Während der offizielle Krisenstab nicht mehr als 4.500 Tote und eine Viertelmillion Obdachlose bestätigt, reichen inoffizielle Schätzungen bis 8.000 oder gar 15.000 Todesopfer.

Verbindliche Aussagen sind schwierig, weil es aus manchen Gemeinden an der Ostküste noch keine verlässlichen Informationen gibt. Außerdem sind noch nicht alle Familien, die das Wochenende für einen Strandurlaub nutzten, schon als vermisst gemeldet.

AUS BANGKOK NICOLA GLASS

Zerstörte Häuser, schlammige Strände, entwurzelte Palmen – Thailands Ferieninsel Phuket bietet ein Bild der Verwüstung. Nichts ist mehr so, wie es vor kurzem noch war, seit am Weihnachtssonntag die Flutwellen über die beliebteste Tourismusregion des Landes hereinbrachen. „Unser Paradies hat sich zur Hölle gewandelt“, sagte die amerikanische Touristin Moira Lee gegenüber Journalisten. Die 28-Jährige trank gerade Kaffee in der Nähe des Patong-Strandes, als die Wassermassen Strand und Straßen überfluteten. „Wir sahen eine riesige Welle, die sich auf uns zubewegte, unsere Kellnerin rief uns nur noch zu, dass wir wegrennen sollten.“

So wie Moira Lee haben viele die ersten Minuten der Katastrophe erlebt. Der Australier Stephen Dicks, der in einer Bar gerade ein Kricketspiel im Fernsehen verfolgte, kam nur knapp mit dem Leben davon: „Plötzlich sah ich all diese Leute, die schreiend aus Richtung Strand kamen. Ich blickte mich um und sah diese massige Wasserwand auf uns zurasen.“ Glücklicherweise sei er im oberen Stockwerk gewesen, denn das Erdgeschoss des Gebäudes wurde völlig überschwemmt. Ein deutscher Urlauber, der sich ebenfalls retten konnte, hörte einen seltsamen Krach hinter seiner Hoteltür, dann brachen die Fluten mit Gewalt ins Zimmer. Innerhalb von Sekunden habe ihm das Wasser bis zur Brust gestanden.

Schwer getroffen ist auch die südöstlich von Phuket gelegene, vom Tourismus völlig überlaufene Insel Phi Phi. Das Eiland, einst Kulisse für die Verfilmung des Bestsellers „Der Strand“, ist für die dortigen Urlauber ebenfalls zur Hölle geworden: Er habe Unmengen toter Körper gesehen und viele Menschen mit Verletzungen, schildert ein belgischer Tourist die Stunden nach der Katastrophe.

Auch der Eigentümer zweier Strandressorts auf der Insel zeichnet ein düsteres Bild. „Es werden wahrscheinlich viele Ausländer auf See vermisst werden und ebenso einige meiner Mitarbeiter“, sagte Chan Marongtaechar bedrückt, der sich zur Zeit des Unglücks in Bangkok aufhielt. Mindestens 200 Bungalows wurden von den Fluten mitgerissen. Angestellte und Gäste, die sich darin aufgehalten haben, hatten kaum eine Chance.

Unterdessen laufen die Hilfsaktionen weiter auf Hochtouren. Diejenigen, die überlebt haben, schafften es nur, weil sie sich in höher gelegene Regionen flüchten konnten. Von der Insel Phi Phi rettete die thailändische Marine bereits etliche Urlauber und Einheimische. Schiffe sind im Einsatz, seit zwei Tagen brummen Helikopter über der Krisenregion. Viele Verletzte wurden noch am Sonntag ausgeflogen. Nach Angaben der Polizei sind bis gestern Nachmittag rund 1.300 Menschen von dort evakuiert worden.

Mitarbeiter ausländischer Botschaften und Hotelangestellte gehen unterdessen durch Krankenhäuser oder notdürftig errichtete Leichenhallen, um Namenslisten zu erstellen. An ersten Särgen prangen bereits die Fotos der Opfer, während viele Angehörige noch verzweifelt auf der Suche nach ihren Vermissten sind.

Thailands Behörden organisieren derweil Konvois, die die Überlebenden nach Bangkok bringen sollen. Einheimische Fluggesellschaften bieten zusätzliche Flüge von Phuket in die Hauptstadt an. Zudem hat das für Tourismus zuständige Ministerium angekündigt, es wolle in Bangkok über 1.000 Zimmer für diejenigen bereitstellen, deren Unterkünfte im Süden zerstört wurden.

Auch ökonomisch sind die zerstörerischen Flutwellen ein Desaster. Traditionell gelten die Monate von November bis Februar als Hauptreisezeit, ausgebucht sind vor allem die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr. Thailand ist das begehrteste Reiseziel Südostasiens, jährlich kommen zwischen zehn und zwölf Millionen Urlauber. Davon entfallen allein vier Millionen auf die Ferieninsel Phuket. Aufgrund der aktuellen Krise befürchtet Pattanapong Ekwanich, Vorsitzender des örtlichen Tourismusverbandes, dass die Zahlen um 30 Prozent fallen werden.

Die thailändische Tourismusmanagerin Tunyakorn Achariyachthai kann die Ängste sehr gut verstehen. Sie sei auf Phuket zu Hause, sie habe so etwas noch nie erlebt. „Um ehrlich zu sein“, sagte sie in der thailändischen Tageszeitung Bangkok Post, „ich möchte auch nicht, dass die Touristen gerade jetzt kommen. Wir haben nichts, was wir ihnen bieten könnten, und es braucht Zeit, bis wir alles aufgeräumt und unsere Hotels renoviert haben.“