„Integration geht nur mit Druck“

INTERVIEW LUKAS WALLRAFF

taz: Herr Schmid, alle reden über Integrationsprobleme, Sie sollen Sie ab 1. Januar lösen. Fühlen Sie sich überfordert?

Albert Schmid: Nein, wir sind für die neuen Aufgaben gut gerüstet. Richtig ist, dass ich mich öffentlich in den letzten Jahren zurückgehalten habe, weil ich ein Rieseninteresse hatte, dass das Zuwanderungsgesetz zustande kommt. Die Verhandlungen waren ja schwierig genug. Jetzt kann unsere Integrationsarbeit losgehen. Dazu gehört auch mehr Kommunikation.

Nur zu. Erklären Sie, wie aus einer Asylbehörde ein Integrationsmotor wird – und das mit fast demselben Personal?

Es war in der Tat sehr schwierig, diese Behörde geistig umzuprogrammieren. Hier wurden ja über 50 Jahre lang weit über 90 Prozent negative Entscheidungen über Migranten getroffen. Da kann man nicht annehmen, dass von Haus aus sehr viel Verständnis für Integration da ist. Etwa 300 Mitarbeiter, die bisher im Asylbereich tätig waren, arbeiten jetzt in den Bereichen Integration und Migration. Durch die langen Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz hatten wir aber genug Zeit, um uns vorzubereiten.

Ihr Start fällt mitten in eine erregte Debatte über gescheiterte Integration und schlimme Parallelgesellschaften. Entspricht die Aufregung der Lage?

Nur zum Teil. Was ich an der gegenwärtigen Diskussion beklage, ist, dass vor allem über Begriffe wie Multikulti oder Leitkultur gestritten wird. Bei genauerem Hinsehen ist die Übereinstimmung weit größer. Wir alle werden der Folgen einer nicht erfolgten Integration gewahr. Das zeigt sich in der Kriminalstatistik, in zunehmender Fundamentalisierung – Stichwort Hassprediger – und im schlechten Bildungsstand vieler Migranten. Darauf müssen wir eine rationale Antwort finden. Da sind wir, denke ich, auf einem guten Weg. Mit dem Zuwanderungsgesetz haben wir endlich ein Instrument, um Integration zu gestalten.

Wo setzen Sie als Erstes an?

Der wichtigste Punkt für uns ist Sprachvermittlung. Es herrscht jetzt Klarheit: Wer in Deutschland auf längere Zeit oder auf Dauer leben will, muss Deutsch lernen. Deshalb gibt es erstmals die Verpflichtung, an Sprachkursen teilzunehmen. Dazu gehört natürlich, dass wir ein entsprechendes Angebot bereitstellen.

Viele Experten haben Zweifel, dass die vorgesehenen 600 Stunden Sprachkurs reichen.

Da gehen die Meinungen der Experten wie immer auseinander. Das werden wir zu gegebener Zeit evaluieren. Ich glaube aber, dass es in den meisten Fällen möglich ist, den erwarteten Standard zu erreichen, also sich auf Deutsch alltagstauglich verständigen zu können. Darauf kommt es an. Außerdem verlangen wir Grundkenntnisse über die Rechtsordnung, Kultur und Geschichte Deutschlands. Dafür gibt es 30 Stunden Orientierungskurse.

Was wird da gelehrt? Die Vorgaben sind ja etwas unklar. SPD-Chef Müntefering meint, als Grundlage für das Zusammenleben reiche das Grundgesetz. Die CDU verweist auf die christlich-abendländische Kultur. Die CSU fordert, Einwanderer müssten sich zu beidem bekennen.

Ich meine, dass die Auffassung von Franz Müntefering richtig ist. In unserem Grundgesetz kommt eine Werteorientierung zum Ausdruck, die auf Pluralismus setzt und die wir vermitteln möchten. Dazu gehören die Gleichstellung von Mann und Frau sowie unsere demokratische Verfassung. Es wird auch Informationen zur Geschichte und Kultur unseres Landes geben. Wir brauchen aber keine Bekenntnisse, sondern erst mal Kenntnisse. Wer bei uns leben will, muss unsere Gesetze akzeptieren und einhalten. Die Voraussetzung dafür ist, dass er sie kennt. Am Schluss der Kurse wird es eine Prüfung geben. Ein formaler Akt, also eine Eidesleistung oder Ähnliches, ist nicht vorgesehen.

Wird es diese Kurse ab 1. Januar „flächendeckend“ geben, wie Sie angekündigt hatten?

Ja, das ist gesichert. Nach dem neuen Gesetz haben alle Neuzuwanderer Anspruch auf Sprach- und Orientierungskurse. Das Geld hat der Bund zur Verfügung gestellt – bis auf 1 Euro pro Stunde, den die Teilnehmer bezahlen müssen. Die Zahl der Sprachkursträger, die mitmachen, ist erfreulich. Wir haben jetzt schon mehr Kapazitäten, als Neuzuwanderer zu erwarten sind. Es wird daher möglich sein, auch die so genannten Bestandsausländer in die Kursprogramme einzubeziehen …

mit einem feinen Unterschied: Diese Migranten, die schon länger in Deutschland leben, haben keinen Anspruch auf Sprachkurse. Sie können aber zur Teilnahme verpflichtet werden, wenn „besonderer Integrationsbedarf“ besteht. Wer definiert denn, was das ist?

Das stellen die Ausländerbehörden fest. Ein besonderer Integrationsbedarf besteht etwa bei Erziehungsberechtigten mit minderjährigen Kindern, die noch die deutsche Sprache lernen müssen, und insbesondere bei Menschen, die arbeitslos sind, weil sie die Sprache nicht beherrschen. Das sind die wichtigsten Gruppen.

Die Kurse dienen also auch als Druckmittel: Wer nicht Deutsch lernt, muss mit Konsequenzen rechnen.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Aufenthaltsstatus und der Teilnahme an den Integrationskursen. Bei erfolgreicher Teilnahme ist zum Beispiel eine Einbürgerung schneller möglich. Umgekehrt wird eine befristete Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert, wenn keine Integrationsbereitschaft sichtbar wird.

Das heißt, wer den Sprachkurs nicht besteht, hat Pech gehabt und fliegt raus?

Nein, er kann eine weitere Chance bekommen. Allerdings auf eigene Kosten.

Wie hoch liegen die?

Der Abschlusstest kostet 59 Euro. Die Kalkulation der Kosten pro Stunde und Teilnehmer liegt bei 2,05 Euro.

Macht insgesamt rund 1.300 Euro. Was ist mit denen, die so viel nicht aufbringen können?

Dann sind die Integrationsvoraussetzungen nicht gegeben.

Glauben Sie, dass Integration unter diesem Druck gelingen kann?

Ich weiß nur, dass sie bisher in weiten Teilen nicht gelungen ist. Wir sind viel zu lange von falschen Prämissen ausgegangen: Wir dachten, entweder die Leute bleiben hier nur temporär oder sie integrieren sich automatisch. Doch diese Automatik gibt es nicht, dass sich Integration sozusagen von selber einstellt. Deshalb muss man etwas ändern. Neuzuwanderer wissen künftig, was sie erwartet. Es ist ihre freie Entscheidung, herkommen zu wollen. Ich sehe in den Kursen weniger ein Drohpotenzial als eine Hilfe, sich zurechtzufinden. Im Übrigen gilt: Der Ton macht die Musik.

Eben. Gegenüber sozial schwachen Ausländern, die schon hier sind, wird sich der Ton verschärfen.

Nein, daran ist uns nicht gelegen. Aber wir müssen auch die Interessen der deutschen Aufnahmegesellschaft berücksichtigen. Bei Beziehern von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe hat das Integrationskonzept deshalb den Charakter eines stärkeren Nachdrucks. Wenn Sie so wollen, ist das dann eine aufgedrängte Hilfe.

Herr Schmid, neben der Integration von Migranten sind Sie weiter für die Bearbeitung von Asylanträgen zuständig. Deren Zahl lag mit etwa 35.000 in diesem Jahr auf einem Tiefststand. Auch die Anerkennungsquote sinkt. Deutschland nimmt immer weniger Flüchtlinge auf. Betrachten Sie das als Erfolg?

Das lässt sich nicht unter den Begriffen Erfolg oder Misserfolg bemessen. Es geht hier um existenzielle Fragen, außerdem spielen dabei ganz andere Faktoren als der politische Wille eine Rolle. In den Jahren 2001/2002 hatten wir zum Beispiel hohe Anerkennungsquoten. Damals wurde mir unverdient eine besonders hohe humanitäre Gesinnung attestiert. Die Ursache war schlicht und einfach, dass der Hauptzustrom damals aus Irak und Afghanistan kam und diese Herkunftsländer positive Entscheidungen nahe legten …

Damals. Heute versuchen Sie, diese Entscheidungen rückgängig zu machen. Noch nie hat Ihr Amt so viele Widerrufsverfahren gegen anerkannte Flüchtlinge angestrengt. 1998 waren es 688, 2004 über 17.000.

Dazu muss man wissen, dass die Verpflichtung zum Widerruf zu jeder Zeit bestand. Wenn der Fluchtgrund wegfällt, ist zu widerrufen. So steht es im Gesetz. Der Vollzug dieser Verpflichtung wurde früher lediglich zurückgestellt, zu den Zeiten, in denen massenhafter Zustrom erfolgte. Jetzt, bei rückläufigen Zugangszahlen, haben wir einfach mehr Zeit für eine spätere Überprüfung. Bei Irakern, die angegeben hatten, von Saddam Hussein verfolgt zu werden, ist das erkennbar nicht mehr der Fall.

Finden Sie, diese nicht mehr anerkannten Flüchtlinge sollten zurück in den Irak?

Wir sagen bei den Widerrufsverfahren nur: Du bist nicht mehr verfolgt. Das heißt nicht automatisch: Du musst jetzt zurück. Im Fall des Irak gibt es im Moment gewiss Abschiebungshindernisse.

Sorgen machen sich auch Flüchtlinge aus der Türkei. Ihre Anerkennung passt nicht so recht zu den EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara. Bereiten Sie neue Serienbriefe vor?

Nein, es gibt keine Serienbriefe. Das individuelle Schicksal werden wir weiterhin in jedem Fall einzeln erheben. Was es gibt, sind Textbausteine über die allgemeine Situation im Herkunftsland. Natürlich beobachten wir die Veränderungen in der Türkei. Die Fortschritte dort haben bereits zu einer Halbierung der Schutzquote geführt. Sicher wird es auch mehr Widerrufsverfahren geben. Das ist eine logische Folge der Veränderungen in der Türkei, die wir alle wollen und die übrigens auch der Integration der Türken hier im Lande dienen.