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: „A woman under the influence“ von John Cassavetes bietet neurotische Szenen einer amerikanischen Ehe

Wer glaubt, die Dogmafilme wären in Dänemark erfunden worden, der kennt das Kino von John Cassavetes nicht. Der wichtigste unabhängige Filmemacher der USA hat schon 1959 mit seinem Debüt „Shadows“ einen ähnlich radikalen Stil entwickelt, indem er auf die Konventionen des klassischen Erzählkinos pfiff, auf der Leinwand keine Filmfiguren, sondern natürliche Menschen zeigte. Dabei rückte er ihnen mit der Kamera so nah wie möglich auf die Pelle. Das wirkt heute so frisch, als wäre alles improvisiert. Doch John Cassavetes war auch Autor seiner Filme.

Weil aber seine Darsteller auch seine Freunde und Verwandte sind und die Geschichten auf persönlichen Erfahrungen beruhen, scheinen sich bei Cassavetes sowohl die Menschen wie auch die Situationen wie aus sich selbst heraus zu entwickeln.

Dabei erzählen die Filme von unbequemen und neurotischen Menschen. Kein Wunder, dass kaum jemand seine Filme sehen wollte. Diese wurden zwar von Kollegen und Cineasten hochgerühmt, spielten aber so gut wie kein Geld ein.

Trotzdem konnte er zwei Jahre lang an „A Woman Under the Influence“ arbeiten, der dann 1974 ganz überraschend zu seinem einzigen großen Kassenerfolg wurde.

Cassavetes Frau Gena Rowlands spielt Mabel Longhetti, Cassavestes langjähriger Freund Peter Falk deren Mann Nick, und die Mütter der beiden Filmfiguren werden von den Müttern von Rowlands und Cassavetes verkörpert. Da kann man schon spekulieren, in wieweit Cassavetes hier von seiner eigenen Ehe erzählt, auch wenn das soziale Milieu etwas anderes suggeriert. Nick Longhetti ist Vorarbeiter in einem Steinbruch und lebt mit seiner Frau und drei Kindern in sehr beengten Verhältnissen. Jede Alltagssituation birgt für Mabel eine Krise, sie kann einfach nichts so machen, wie es den Konventionen des kleinbürgerlichen amerikanischen Familienlebens entspricht.

Wenn ihr Mann Nick mit seiner gesamten Schicht nach Feierabend überraschend zu ihr nach Hause kommt, kocht sie für alle Spaghetti, aber dann will sie auch noch freundlich zu allen sein und beginnt, die Arbeiter zu umarmen, bis ihr Mann beginnt, sie anzuschreien.

Der Film besteht aus einer Reihe von solchen langen häuslichen Szenen, in denen die Stimmung in jeder Sekunde extrem umschlagen kann. Aber all das wird nicht mit Hilfe einer konventionellen Dramaturgie erzählt, sondern statt dessen in diesen langen Sequenzen. Da gibt es keine erlösende Abblende, da bleibt die Kamera bis zum bitteren Ende bei den Szenen einer Ehe dabei. Und man kann sich dem nicht entziehen, weil Gena Rowlands die Mabel so glaubwürdig verkörpert. Dies ist eine der großen Charakterstudien des Kinos. Wilfried Hippen

läuft im Kino 46 in der Originalfassung mit Untertiteln, Do & Sa um 18 Uhr, So & Di um 20.30 Uhr