Lebt denn d‘r Gott noch?

Bei schlimmen Katastrophen schlägt immer die Stunde der Kirchenfürsten von Huber bis Lehmann: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch erquicken!“

VON DIETER GRÖNLING

Demut – das ist ein Begriff, von dem kaum noch jemand weiß, was er bedeutet, und der offenbar so aus der Mode gekommen ist, dass er nicht mal mehr in Mayers großem Handlexikon steht. Dabei ist damit nur die Geisteshaltung gemeint, die der Arroganz entgegengesetzt ist. Nichts Schlimmes also – wenngleich dem Begriff immer etwas Fromm-Christliches anhaftet, und derlei kommt seit dem Konfirmationsunterricht so gut wie nicht mehr vor.

Aber nun hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, angesichts der Katastrophe in Südasien von den Menschen wieder mehr Demut gegenüber der Natur verlangt. „Nicht die Allmacht Gottes, sondern die Allmachtsvorstellungen des modernen Menschen werden durch dieses Geschehen in ihre Schranken gewiesen“, sagte Huber in seiner Neujahrspredigt im Berliner Dom. „Die Gewalt der Natur hat uns in die Grenzen gewiesen.“ Immer wieder könne es geschehen, dass die Erdteile sich so gegeneinander verschieben, dass ein Beben auch das Meer zum Toben bringe. „Uns Kinder der Moderne erinnert das daran, dass unsere Herrschaft über die Natur nicht unumschränkt ist. Trotz unserer Kenntnisse der Natur und trotz unserer Möglichkeiten, sie uns dienstbar zu machen, drängt uns dieses Erleben wieder zu einer Haltung in Demut“, sagte Huber.

Das ist typisch Kirche: Immer wenn ein Ereignis die Vorstellungskraft und den Erfahrungshorizont übersteigt, soll der Mensch in Demut vor Gott erstarren. Nicht hinterfragen – etwa, ob man doch hätte warnen können, nicht schreien vor Schmerz oder vor Wut, wenn jemand, der einem nahe steht, zu den Opfern zählt.

„Wir spüren in diesen Tagen, dass die Sintflut nicht eine überholte Sage ist, sondern auf wirklicher Erfahrung beruht.“ Das Vertrauen in die „bergende Kraft der Schöpfung“ werde nur langsam wieder wachsen. „Die Gewalt der Natur hat uns in die Grenzen gewiesen“, sagte Huber. Aber mehr Sicherheit gegenüber Tsunamis „kann und sollte gesucht werden“. Immerhin.

In diesen Tagen wird auch immer wieder gefragt, „wie Gott das zulassen konnte“. Auch von Bild, auf Seite eins der Silvesterausgabe: „Lieber Gott, wo warst Du?“ Aber Gottes Allmacht, so Huber, könne man sich nicht so vorstellen, „dass Gott alles Böse und Unbegreifliche aus dem Lauf der Dinge herausschneidet“. Sie zeige sich „in der Liebe, mit der er sich uns zuwendet, damit wir uns auch angesichts des Unbegreiflichen an ihr orientieren“.

Zur Frage, warum Gott so etwas zulässt, hat auch die andere Fraktion nur schwammige Antworten parat. Immerhin gesteht Kardinal Lehmann ein, dass ihm fast die Worte ausbleiben. Aber „so können wir dennoch etwas tun: helfen“. Auch sei die Theologie seit Auschwitz und der Erfahrung mit dem Holocaust mit solchen Fragen sehr viel sensibler geworden: „Sie kennt die Grenzen der Theorie. Es gibt andere Formen der Auseinandersetzung mit dem Leid: Die Theologie kümmert sich wirklich solidarisch um die Schreie der Menschen in Leid und Not. Die tatkräftige Hilfe, das Mitgefühl, aber auch die Klage, die zuweilen eine Form des Gebets sein kann, sind Antwortversuche. Im Letzten nehmen aber auch Philosophie und Theologie dem Rätsel des Bösen und des Unheils in der Welt nicht den Stachel.“

Goethe soll nach dem historischen Erdbeben von Lissabon (1755) seinen Glauben an einen gerechten Gott verloren haben, und nach dem Zweiten Weltkrieg haderten selbst Theologen, wie man nach Auschwitz noch vom gerechten, allmächtigen Gott sprechen könne. Dennoch kann die Inflation der Kirchenfürsten-Äußerungen zur asiatischen Flutkatastrophe ein wenig dazu beitragen, in „globaler Verantwortung“ zu denken. Die Katastrophe zeigt wieder einmal, dass die Menschen nicht die Herren der Welt sind.

So ist es höchste Zeit, die eigene Gottesvorstellung gründlich zu überprüfen und sich endlich klarzumachen, dass der Traum von einer leidfreien Gesellschaft, die keine Wunden und keinen Schmerz verträgt, eine Illusion ist. Falls irgendjemand tatsächlich daran geglaubt haben sollte.