Zoff im Rat der Weisen

Normalerweise beraten sie die Bundesregierung in ökonomischen Fragen. Nun aber sind die „fünf Weisen“ heillos zerstritten. Scheinbar geht’s dabei um Kompetenzen, eigentlich aber um die Zukunft

VON HANNES KOCH

Ihren Glorienschein der Weisheit und Unfehlbarkeit hat die Wissenschaft verloren. Dass sich ausgewachsene Professoren aber öffentlich und gegenseitig als Ignoranten beschimpfen, kommt dennoch nicht oft vor. Erstaunt betrachtet die Öffentlichkeit daher eine muntere Debatte, die aktuell die Crème de la Crème der Wirtschaftswissenschaft beschäftigt. Ort der Auseinandersetzung: der Sachverständigenrat, der die Bundesregierung in ökonomischen Fragen berät. In ihm sitzen vier Herren und eine Dame – allesamt tätig als herausgehobene Professoren deutscher Universitäten.

Ein paar Zitate. Wolfgang Wiegard (Uni Regensburg) über Peter Bofinger (Uni Würzburg): „Von Steuerpolitik versteht er erwiesenermaßen überhaupt nichts.“ Wolfgang Franz (Uni Mannheim) über Bofinger: „Nicht teamfähig“. Bofinger über die beiden anderen: „Stillos“.

Ja, was ist denn da los? Zunächst einmal eine recht nachvollziehbare Angelegenheit. Der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Wolfgang Wiegard, sieht keine Chance, den Chefposten noch einmal zu bekommen. Keiner seiner Kollegen hat ihn bislang öffentlich aufgefordert, weiter zu amtieren.

Den anderen Ratsmitgliedern geht Wiegard in unterschiedlichem Maße auf die Nerven. Er ist der Oberlehrer, der immer alle Details kennt – und dabei auch noch Recht hat. Nachfolgen könnte ihm Bert Rürup (Technische Uni Darmstadt). Das kränkt Wiegard. Und nun teilt er aus.

Aber warum ist Bofinger der Böse? Bei der augenblicklichen Debatte geht es quasi um alles. Wir erleben eine Art Historikerstreit der Wirtschaftswissenschaften. Die bisher herrschende ökonomische Lehre verliert ihre Hegemonie, und diese Erosion des wirtschaftspolitischen Mainstreams verkörpert Peter Bofinger. Er ist mit seinen 50 Jahren nicht nur rund zehn Lenze jünger als seine drei männlichen Kollegen, er ist nicht nur der Neue im Sachverständigenrat, er erzählt auch Sachen, die jeden Neoliberalen die Bäume hochtreiben. Ihm erscheint es sinnvoll, die Löhne der Beschäftigten sporadisch zu erhöhen, damit die Leute einkaufen und damit etwas für das Wirtschaftswachstum tun. Er meint, die Unternehmenssteuern müssten nicht unbedingt weiter gesenkt werden. Viele von Bofingers Sätzen widersprechen dem, was seit den späten 1970er-Jahren die Wirtschaftswissenschaft geprägt hat.

Damals nahm der Sachverständigenrat Abschied von der Nachkriegszeit. Die Politik der Nachfrage („Was hat die Bevölkerung in der Tasche?“) wurde ersetzt durch das Paradigma des Angebots („Welche Bedingungen dienen den Unternehmen?“).

Die Ökonomie ließ die Theorien des Ökonomen John Maynard Keynes links liegen und schwenkte zur Neoklassik, deren wirtschaftspolitische Vulgärform als Neoliberalismus bekannt wurde.

Seit einigen Jahren ist nun wieder ein Paradigmenwechsel im Gange, der freilich in der deutschen Wissenschaft noch nicht richtig angekommen ist – eine Kombination aus Keynesianismus und Neoklassik. Peter Bofinger ist einer der Ersten in der ökonomischen Top-Liga, die die Richtungsänderung sichtbar machen.

Hinzu kommt, dass er dabei nicht zimperlich ist. Auch Noch-Chef Wiegard gilt zwar als talentierter Öffentlichkeitsarbeiter, der die Mittel der Medien zu nutzen weiß. Doch Bofinger tut es ihm mindestens gleich. Seine neue Position als Berater der Bundesregierung betrachtet er als Chance, seine Position in der öffentlichen Debatte durchzusetzen. So veröffentlichte er unlängst seinen „Anti-Sinn“ – ein Buch, das nicht nur gegen Werner Sinn, den Präsidenten des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung gerichtet war, sondern auch der Mehrheit des Sachverständigenrats widersprach. Lag es doch in den Buchgeschäften nur wenige Tage, nachdem der Rat sein Jahresgutachten vorgestellt hatte.

So etwas war bisher nicht üblich. Natürlich wollten die Wissenschaftler schon immer die Politik beeinflussen, dabei aber den Ball flach halten und nach Möglichkeit als einheitlicher Block erscheinen. Bofinger bricht diese alten Konventionen, er polarisiert – und das nicht nur hinter den verschlossenen Türen der Beratung.

Interessant ist, dass die abweichende Position im Sachverständigenrat heute einen ungleich größeren Widerhall findet als noch vor zehn Jahren. Das liegt auch an der anhaltenden Erfolglosigkeit der rot-grünen Bundesregierung. Die Arbeitslosigkeit nimmt eben nicht ab. Und der Zusammenhang zwischen Jobverlusten, stagnierenden Löhnen der Beschäftigten und Nachfrageschwäche lässt sich nicht mehr von der Hand weisen.