Ein Lebensbund wird brüchig

AUS DÜSSELDORF, BERLIN UND BONN BARBARA BOLLWAHN

Der Großvater ging als Erster auf Nummer sicher. Er wurde Beamter bei der Wasserschutzpolizei. Dann folgte der Vater. Als Beamter bei der Stadt Düsseldorf. Auch der Sohn entschied sich für eine unkündbare Beschäftigung. Harald Wachter wurde, wie sein Vater, Beamter im Dienste der Stadt Düsseldorf. Stadtinspekteur, Oberinspekteur, Amtmann und Amtsrat. Nach elf Jahren durchbrach er die Tradition. Er unterschrieb einen Vertrag bei einer Unternehmensberatung und ließ sich für zwei Jahre beurlauben. Dann tat der Diplomvolkswirt etwas, was für seinen Großvater undenkbar gewesen wäre und bei seinem Vater zu Stirnrunzeln führte: Der zweifache Familienvater ließ sich aus dem Beamtenverhältnis entlassen. „Ich hatte zunehmend den Eindruck, dass mir nicht mehr erklärt werden konnte, wofür man Beamte braucht.“

Wachter hat nichts dagegen, wenn an den Privilegien der Beamten gerüttelt wird. Er ist enttäuscht, dass die Unkündbarkeit vorerst gerettet ist: Kurz vor Weihnachten scheiterte die Föderalismuskommission, in der Bund und Länder auch die Unkündbarkeit von Beamten in Frage stellten. Damals drohte der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes, Peter Heesen, noch mit einem „Kriegsfall“. Jetzt gibt sich Heesen versöhnlich. Am Dienstag sagte er: „Wir wollen im Moment nicht drohen, Konstruktivität ist angesagt.“ Und wenn am Montag Otto Schily zur Tagung des Beamtenbundes nach Bad Kissingen reist, dann wird der Innenminister wohl nur ankündigen, dass er eine kleine Reform umsetzen will: Die Besoldung von Beamten soll sich künftig nicht nach Dienstjahren und Alter richten, sondern mehr nach Funktion und Leistung.

Damit ist der Beamtenbund einverstanden. Harald Wachter sowieso. Er sitzt in seinem Büro und wirkt wie ein Mann, der mit sich zufrieden ist. Der 45-Jährige streicht mit der Hand über die goldfarbene Krawatte, die von einer Nadel in Form der Düsseldorfer Skyline festgehalten wird. Klar, sagt er, die Unkündbarkeit sei „ein großes Pfund“. Doch sie habe ihren Preis. „Die Betroffenen merken erst später, dass die Sicherheit durch einige Nachteile erkauft wird.“ Konkret: „Das Finanzielle und Arbeitsrechtliche liegt außerhalb des eigenen Gestaltungsmöglichkeiten.“ Keine Missverständnisse: Wachter war gern Beamter. Aber das bedeutet nicht, dass er alles am öffentlichen Dienst gut findet. „Er ist sehr formal. Das steht so da, also machen wir das so. Wenn man nach dem Sinn fragt, heißt es, das wird schon seine Richtigkeit haben.“

1,7 Millionen Beamte gibt es in Deutschland. Ob Justizwachtmeister, Lehrer oder Ministerialdirigenten, sie nehmen „hoheitsrechtliche Befugnisse“ wahr und sind unkündbar. Für Harald Wachter gibt es nur wenige Berufsgruppen, die immer verfügbar sein müssen und nicht streiken dürfen: Richter und Soldaten. Über Polizei, Feuerwehr und Rettungswesen könnte man diskutieren. „Doch danach hört es schon auf“, sagt Wachter. Vielleicht noch die Müllabfuhr. „Wenn die streiken, stinkt es kotzerbärmlich.“

Wachter ist jetzt selbständiger Unternehmensberater und berät Kommunen, Kirchen und Verbände. Damit verdient er gut das Doppelte wie in seiner Beamtenzeit. Er kann es sich erlauben, drei bis fünf Tage im Monat auf seinen Tagessatz zwischen 800 und 900 Euro zu verzichten und seinem „Hobby“ nachzugehen. Seit 1999 sitzt er für die CDU im Rat der Stadt Düsseldorf. Aus Wahlkämpfen weiß er: „Es hat Tradition, über Beamte herzuziehen. Doch mit Stammtischparolen kommt keiner weiter.“

„Stinkende Fische“

Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hat kürzlich so eine Parole losgelassen. In einem Brief an Bundesinnenminister Schily hat er „leistungsunwillige Beamte“ mit einer Fischkiste verglichen: „Wenn man den einen faulen Fisch nicht herausnimmt, stinkt bald die gesamte Kiste.“ Damit begründete Körting seine Forderung nach Aufhebung des Kündigungsschutzes für Staatsdiener.

Marianne Heidemüller gehört zu den 78.000 beamteten Staatsdienern in der Hauptstadt, die sich nun beleidigt fühlen. Nachdem die Verhandlungen zwischen dem Senat und den Gewerkschaften über eine Neuregelung für den Personalüberhang im öffentlichen Dienst gescheitert waren, trafen sich Mitte Dezember die 500 Personalräte des Landes Berlin. Unter ihnen die 54 Jahre alte Heidemüller. „Immer wird auf die Beamten geschimpft“, klagt Heidemüller, seit über 30 Jahren im mittleren Dienst in einer Bezirksverwaltung.

Dabei weiß Heidemüller selbst, dass es „unwillige“ Beamte gibt. Seit zwölf Jahren ist sie freigestelltes Personalratsmitglied. „In gewissen Bereichen macht sich Gleichgültigkeit breit“, gibt sie zu. Doch Heidemüller verteidigt diese Haltung. Indem sie die „Abstriche“ aufzählt, die sie und ihre Kollegen bereits machten: Personalabbau bei gleichem Arbeitspensum, weniger Einkommen und – „ganz gravierend“ – der Wegfall des 13. Monatsgehalts. Sie beklagt, dass Beamte nicht auf die Barrikade gehen können. „Dienst nach Vorschrift ist das Einzige, was wir machen können.“

Heidemüller redet sich nicht in Rage, aber sie klingt etwas trotzig. Am Lebenszeitprinzip will die Beamtin, verheiratet mit einem Beamten und Tochter eines Beamten, festhalten. „Es ist besser, wenn der Staat bestimmte Sachen in der Hand behält.“ Solange es das Berufsbeamtentum gibt, sagt sie schließlich, könne es „ein bisschen Modernisierung“ geben. Das müsste aber bundeseinheitlich geregelt werden. So ähnlich spricht nach dem Scheitern der Föderalismuskommission auch ihr Dienstherr Körting. Keine Rede mehr von stinkenden Fischen. „Erst mal muss auf Bundesebene versucht werden, den Karren aus dem Dreck zu ziehen“, sagt er stattdessen.

In Bonn gibt es ein Amt ohne Wartezeiten, meckernde Kunden oder frustrierte Mitarbeiter. Das Amt für rheinische Landeskunde. Ein Dutzend Volkskundler Historiker, Sprachwissenschaftler und Kartografen erforscht die Alltagskultur des Rheinlandes: Halloween-, Abitur- und Essbräuche, das Leben der Rheinschiffer oder den „Regiolekt“, eine regional geprägte Umgangssprache, wie sie der Exmanager von Bayer 04 Leverkusen Reiner Calmund spricht. Obwohl man wohl kaum von hoheitlichen Belangen reden kann, ist der Direktor ein Beamter.

Fritz Langensiepen ist Landesverwaltungsrat. Der 62-Jährige hat Pädagogik, Germanistik und rheinische Landesgeschichte studiert. „Es war bei meiner Einstellung mein persönlicher Wunsch, Beamter zu werden“, sagt er und verweist auf die „Fürsorge für die Familie“. Sicher, er habe „eine relativ privilegierte Position“. Doch der Landschaftsverband Rheinland, zu dem das Amt gehört, habe viel davon. „Ich bin mit vollem Engagement und großem Pflichtgefühl dabei.“

Langensiepen hält es für „durchaus denkbar“, dass ein Angestellter seinen Job machen könnte. „Die Rahmenbedingungen verändern sich. Vieles muss man überdenken.“ Doch das Beamtentum aufgeben? Langensiepen hebt die dunklen buschigen Augenbrauen. „Es gibt Traditionen, die finde ich gut.“

Lothar Schulte ist 60 Jahre alt und die Hälfte seines Lebens Beamter beim Bundesbildungsministerium. Als Leiter eines Referats, das zuständig ist für die Akademien der Wissenschaften, verdient er 6.000 Euro im Monat. Er hat es zum Ministerialrat gebracht und Freude an seiner Arbeit. Eigentlich könnte alles bestens sein. Wenn das nicht wäre: Schulte hat nicht genug Arbeit.

Ein Ministerialrat fordert Arbeit

Der Bundesbeamte hat sich etwas getraut, was im Staatsdienst nicht gern gesehen wird. Er hat seine Dienstherrin düpiert. Bundesministerin Edelgard Bulmahn (SPD) hatte vor zwei Jahren sein Arbeitsgebiet reduziert. Schulte wurde vorgeworfen, gegen die Interessen des Ministeriums verstoßen zu haben, weil er zwei privaten Stiftungen einen Mustervertrag für eine mögliche Trägerschaft zur Verfügung gestellt haben soll. Zwei Jahre lang versuchte Schulte, das Problem intern zu klären. Erfolglos. Deshalb nahm er sich einen Anwalt und reichte vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen den Bund ein – auf angemessene Beschäftigung.

Das nimmt ihm das Ministerium übel. In seinem Büro in Bonn darf Schulte keine Journalisten mehr empfangen. Auch ein Gespräch über die anhängige Klage ist nicht möglich. Aber zu der Föderalismuskommission darf er sich äußern. „Es ist absolut richtig, das System auf den Prüfstand zu stellen“, sagt Schulte, als er zu einer Dienstreise in Berlin weilt. „Man darf nicht an Vorstellungen des letzten Jahrhunderts hängen.“

Unter der jetzigen Regierung wird für Schulte wohl alles beim Alten bleiben. Wann sich das Gericht mit seiner Klage beschäftigen wird, ist schwer zu sagen. Die Richter sind im Unterschied zu ihm überlastet. Selbst wenn Schulte Recht bekommt, hätte er nicht unbedingt gewonnen. Am längeren Hebel sitzt das Ministerium. Wenn Schulte Pech hat, bekommt er jede Menge unnütze Arbeit aufgebürdet, die dann in einem Aktenschrank verschwindet. Sicher ist, dass er mit 65 Jahren in Rente geht. Dann endet der aktive Dienst. Damit der nächste Beamte nachrücken kann.