Wahlprotest fürs Protokoll

Debatte über Wahlunregelmäßigkeiten bei der Bestätigung des Sieges George W. Bushs im US-Kongress. Erstmals seit 35 Jahren regt sich Widerspruch – ohne weitere Folgen

WASHINGTON taz ■ Die traditionelle Zeremonie, Anfang Januar das Ergebnis der Präsidentschaftswahl vom November im Kongress offiziell zu beglaubigen, geriet am Donnerstag zu einer Protestveranstaltung. Demokraten nutzten die Gunst der Stunde, in der die Wahlmännerstimmen verlesen werden, um formell Beschwerde gegen den Wahlausgang einzulegen und beide Kammern des Parlaments zu zwingen, über Unregelmäßigkeiten während des Urnenganges vor allem in Ohio zu debattieren. Die Wahlmännerstimmen in diesem Bundesstaat waren das Zünglein an der Waage. Bush gewann mit 118.000 Stimmen Vorsprung und sicherte sich so den Verbleib im Weißen Haus.

Die Demokraten beklagten, dass es in Ohio zu wenig Wahlmaschinen gegeben habe, Bürger bis zu vier Stunden vor den Wahllokalen warten mussten, Computer ausfielen und Wähler diskriminiert wurden. Zudem monierten sie, dass der Vorsitzende der Wahlkommission in Ohio, ein Republikaner, zugleich Chef des Bush-Cheney-Wahlkampfes im Bundesstaat war.

30 Abgeordnete und eine Senatorin schlossen sich dem Einspruch an. Republikaner hingegen wiesen die Kritik als „Glauben an Verschwörungstheorien“ zurück, obwohl Wahlbeobachtungsgruppen zahlreiche Unregelmäßigkeiten dokumentiert haben und es zehntausende Beschwerden von Bürgern nach der Wahlnacht gab.

Um einen formellen Geschäftsordnungsantrag im Kongresszu erwirken, ist die Unterschrift mindestens je eines Mitglieds von Senat und Abgeordnetenhaus notwendig. Vor vier Jahren hatten zwar Abgeordnete gegen das Ergebnis in Florida protestiert, aber kein Senator hatte sich bereit gefunden, den Protest zu unterstützen. Dies reichte für einen Einspruch nicht aus. Die Szene, wie ein schwarzer Abgeordneter nach dem anderen vor dem Kongress protestiert, vom damals als Senatspräsident amtierenden Wahlverlierer Al Gore gefragt wird, ob ein Senator sich angeschlossen hat, und dann abgewiesen wird, hatte durch Michael Moores Film „Fahrenheit 9/11“ weltweite Berühmtheit erlangt. Auf seiner Homepage hatte der Filmemacher und Aktivist die Senatoren aufgefordert, diesmal eine Debatte über die Zustände in Ohio zu ermöglichen.

Diesmal erzwang der Einspruch der Senatorin Barabara Boxer aus Kalifornien, dass die Auszählung der Wahlmännerstimmen unterbrochen wurde. Sie begründete ihren Schritt damit, dass „eine Beschwerde derzeit noch die einzige Möglichkeit darstelle, die Probleme beim Wahlverlauf zu thematisieren“.

Senat und Repräsentantenhaus mussten sich danach in getrennten Sitzungen mit den Einwänden befassen. Es war der erste formelle Widerspruch im Kongress gegen den Ausgang einer Präsidentenwahl seit 35 Jahren.

Der Protest war rein symbolischer Natur. Da sowohl Senat als auch Abgeordnetenhaus in der Hand der Republikaner sind, können sie solche Anträge einfach überstimmen. Doch der Schritt wurde allgemein als Signal aufgefasst, den Republikanern die Stirn zu bieten, da diese offensichtlich bemüht sind, ihre neue Mehrheit im Parlament kompromisslos einzusetzen.

MICHAEL STRECK