Tschüss, Doris. Oder: Ein verlorenes Jahr für eine andere Schule

Als Doris Ahnen KMK-Chefin wurde, hofften alle: Jetzt ist Schluss mit der Arie „Bayerns Auslese ist Spitze“. Aber die erste SPD-Präsidentin nach Pisa überließ der Union das Feld

Dass das kein Herrenjahr für die SPD werden würde, war sofort klar. Wenige Tage bevor Doris Ahnen (SPD) ihren Job als Präsidentin der Kultusministerkonferenz antrat, kreuzte sie bei einer GEW-Konferenz in Berlin auf. Es ging um Bildungsstandards, damals noch das Allheilmittel überhaupt. Auch ihre SPD-Genossin Edelgard Bulmahn war da. Nach wenigen Minuten hatten sich die beiden in der Wolle – weil Ahnen schon damals voll auf Unionslinie war.

Nicht nur die Gewerkschafterinnen waren genervt. Die junge Ministerin aus dem Bildungsvorzeigeland Rheinland-Pfalz, eine Hoffnungsträgerin der Bildungsszene, las ein enervierendes Statement vom Blatt. Sie könne nun mal nicht von der Linie der Kultusministerkonferenz abweichen, rechtfertigte sich die Ex-AStA-Kämpferin sinngemäß. Ihre Unionskolleginnen passten da auf wie die Schießhunde.

Das war schon damals eine höchst merkwürdige Begründung, eine, die so tat, als ließe sich der Streit um Bildung verhindern, wenn man nur brav das Feld räumte. Dabei ging es zu keinem Zeitpunkt darum, einen neuen Kulturkampf auszurufen, sondern die empirischen Befunde aus dem Program for International Students Assessment, kurz Pisa, in die Diskussion zu bringen. Es ging um offenen Diskurs darüber, was gutes Lernen ist, angeregt durch Pisa-Wissen über Schulbildung. Doris Ahnen hat ihn kaum befördert, sondern unterdrückt: Sie sprach Ansagetexte, die den Ideologiebestand der Union nicht hinterfragten.

Beispiel Bildungsstandards: Sie legen fest, was ein Schüler beherrschen soll. Das ist im Unterschied zu Lehrplänen kein Wissen, sondern es handelt sich um Kompetenzen, die einen lebenspraktischen Bezug haben. Bislang lernen deutsche Schüler, je nach Schulform, unterschiedliche Dinge. Anders gesagt: Bestimmte Kompetenzen mag man Haupt- oder Sonderschülern nicht zumuten. Die Stoffe des humanistischen Gymnasiums bleiben Kindern vorbehalten, die man zuvor sorgfältig ausgelesen hat. Oder noch anders gesagt: Lehrpläne sind eine Grundlage der Bildungsapartheid, sodass in Deutschland nicht jeder Mensch prinzipiell alles lernen darf. Standards könnten das ändern.

Was aber hat das mit Doris Ahnen zu tun? Sie plädiert für Standards, die auf die Schulformen bezogen sind. Das bedeutet: Die Standards, wie sie die Unionsländer sukzessive in der KMK durchsetzen, sind ein Instrument, das den kardinalen Webfehler hunderter Lehrpläne nicht behebt: seinen selektiven Charakter.

Beispiel Schulformen: Als Pisa 2003 vorgestellt wurde, betonte Doris Nimmermüde, man dürfe auf keinen Fall die Debatte auf einen einzigen Punkt konzentrieren: die Schulformfrage. Da hat sie natürlich Recht. Es geht um den guten Unterricht, es geht um eine andere Lehrerbildung, es geht um andere Elternarbeit und, und, und. Bessere Bildung ist ein komplexes Thema – zu dem die Schulformfrage aber eben auch gehört. Alle Pisaforscher sagen, das sei eine Kernfrage, die man – neben den anderen! – diskutieren müsse. Doris Ahnen hat sie nicht diskutiert, nicht als KMK-Präsidentin. Gerade so, als wäre es der obersten Schulverantwortlichen gesetzlich verboten, danach zu fragen, warum Kinder aus benachteiligten Schichten nur den Bruchteil der Bildungschancen von Kindern aus gebildeten Schichten haben - bei gleichem IQ.

Witzigerweise fragt nun SPD-Chef Franz Müntefering diese Frage aller Fragen. Das mit der Bildungsungerechtigkeit dürfe nicht so weitergehen, sagt Müntefering. Vielleicht, so fragt er, liegt’s ja an der frühen Aufteilung der Schüler. Doris Ahnen darf dazu leider schon wieder nichts sagen. Sie ist zurück in Mainz. Dort macht sie ein echt gutes Programm. Ehrlich. Tschüss, Doris. CHRISTIAN FÜLLER