Start ins Jahr der Fahrverbote

München führt: Schon an vier Tagen dieses Jahr war die Luft so dick, dass der neue Grenzwert überstiegen wurde. Bald bleiben daher viele Diesel stehen

VON NICK REIMER

Für Umweltschützer ist er die Chance, für Kommunalpolitiker das Grauen: der 36. Tag. Wann er genau kommt, weiß niemand, fest steht: Er kommt – und zwar bald. Seit dem Jahreswechsel gilt in der EU die Richtlinie 96/62/EG. Dahinter verbirgt sich ein Regelwerk zur Verbesserung der Luft. Danach dürfen höchstens an insgesamt 35 Tagen pro Jahr mehr als 50 Mikrogramm Staub je Kubikmeter Luft gemessen werden. Wird der Wert überschritten, drohen Fahrverbote. Der Bundesrat schätzt, dass bis zu 120 Kommunen betroffen sein könnten. Seine Schlussfolgerung: 2005 wird das Jahr der Fahrverbote.

Selbst schuld: Die EU verabschiedete das Regelwerk bereits 1996. Um den Städten Einschnitte zu ersparen, gewährte sie eine achtjährige Frist. „Frankfurt hat überhaupt nichts unternommen“, sagt Horst Schäfer, Fraktionschef der Flughafenausbau-Gegner im Frankfurter Römer. Deshalb reicht die Fraktion morgen Beschwerde bei der EU ein. Schäfer: „Wir wollen, dass die Grenzwerte eingehalten werden. Und das geht in Frankfurt augenscheinlich nur mit Fahrverboten für die Innenstadt“.

Fachleute schreiben jeden zehnten Fall von Lungenkrebs dem Einatmen von Dieselruß zu – EU-weit sterben daran jährlich 70.000 Menschen. Eine Zahl, die stark angestiegen ist: Erstens erhöhte sich der Verkehr seit Mitte der 90er-Jahre. Zweitens wuchs der Anteil an Dieselautos. In Deutschland fahren mittlerweile 40 Prozent aller neu zugelassenen Autos mit Diesel. Mit Rußfiltern ausgestattet sind nur französische Modelle. Müssen demnächst die deutschen stehen bleiben?

Ein peinliches Kapitel für Kanzler Schröder. Obwohl die Richtlinie bekannt war, gewährte er der deutschen Autoindustrie eine Schonfrist. Dank dieses „Selbstverpflichtung“ genannten Deals dürfen sich VW und Co bis 2009 Zeit lassen, Partikelfilter serienmäßig einzubauen. Wenn Autofahrer bald zu Fuß gehen, ist daran auch Finanzminister Eichel nicht unschuldig. Seit die Föderalismus-Verhandlungen in der Sackgasse stecken, ist auch der Machtpoker zwischen Bund und Ländern bei der Kraftfahrzeugsteuer festgefahren. Deshalb blockiert Eichel die ab Januar geplante Steuerbegünstigung für Autos mit Rußfiltern. Wirtschaftsforscher kritisieren das. „Ein Steuernachlass wäre ein großes Nachfrageprogramm für die Automobilindustrie“, sagt Ferdinand Dudenhöffer vom Center of Automotive Research: „Der Diesel ist ein deutscher Exportschlager. Wir brauchen eine Lösung, die ihn vom negativen Umweltimage befreit.“

Bürokratisches Klein-Klein ist angesagt. Jene Kommunen, bei denen absehbar ist, dass sie die Grenzwerte nicht einhalten, müssen einen Luftreinhalteplan vorlegen. Der für Frankfurt – in Zusammenarbeit mit der Landesregierung entstandene – wurde gerade fertig. „Da steht allerdings nicht viel drin, was uns helfen könnte“, sagt Ulrich Schöttler, Leiter des Straßenverkehrsamtes.

Frankfurts Hauptproblem sei der Autobahnring. Schöttler: „Die Hintergrundbelastung in der Innenstadt ist durch den Außeneintrag so hoch, dass wir den Verkehr auf Sonntagsniveau reduzieren müssten, um die Grenzwerte einzuhalten.“ Natürlich versucht auch Frankfurt, den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu machen. Schöttler sieht aber bereits jetzt Kapazitätsprobleme. Für ihn ist die Bundesregierung für das Dilemma verantwortlich: „Die muss die Autoindustrie zu den einzig wirksamen Maßnahmen zwingen: den serienmäßigen Einbau von Filtern.“

Frankfurts Flughafenausbau-Gegner sind nicht die Einzigen, die klagen. So bereitet etwa der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) eine Klage vor, wenn auch mit anderer Strategie. „Wir werden nicht vorfristig vor Gericht ziehen, sondern erst bei entsprechender Datenlage“, sagte Verkehrsexperte Martin Schlegel.

Unter http://www.env-it.de/luftdaten/trsyear.fwd ist abrufbar, welche Stadt wie oft den Grenzwert überschritt. Am Tag zwölf des Jahres 2005 lag München gestern mit vier Tagen vorn. Für Schlegel sind 30 Tage über Grenzwert das Signal zum Klagen. Schlegel: „Wenn wir im Februar eine Inversionswetterlage haben, könnte das schon im März erreicht werden.“

Das Unabhängige Institut für Umweltfragen (UfU) bezweifelt allerdings, dass der Klageweg tatsächlich Luftqualität verbessern wird. „Wir versuchen auf dem Klageweg seit fast zehn Jahren die Grenzwerteinhaltung für Lärm auf einer Berliner Straße einzuhalten“, erklärt Michael Zschiesche. Zwar geben die Richter dem Klageansinnen jedes Mal Recht. „Allerdings können die Richter schlecht Fahrverbote verhängen.“ Das Urteil verpflichte vielmehr die zuständige Behörde „geeignete Maßnahmen zu ergreifen“, um den Missstand zu beheben. Zschiesche: „Die Maßnahmen erwiesen sich fast nie als geeignet. Aber selbst zu dieser Feststellung brauchte es wiederum ein Gerichtsurteil – in der nächsthöheren Instanz.“

Soweit die schlechte Nachricht. Jetzt die andere: Sollte tatsächlich irgendwo ein Fahrverbot ausgesprochen werden, dürfen dennoch alle Autos weiterfahren. Abgesehen von den Dieseln, die keinen Rußfilter haben.