Die Fanfaren von Jericho

Moskauer Banjo und Videoschnipsel: Das Datscha Projekt gastiert mit „Pakava It“ in der Fabrik

von Nikola Duric

Die Menschen jedes Jahrzehnts haben ihre musikalischen Vorlieben, die sich außerhalb ihrer nationalen Top Ten bewegen. In den 80er Jahren umwehten schräge Töne des Orients die westlichen Gehörgänge. Rasselnder Schmuck und eigenartige Tonleitern aus 1001 Nacht waren da zu vernehmen – von Ofra Haza bis zu den Dissidenten.

Die 90er waren bestimmt von den Klängen Asiens. Selbstbewusste Migranten in England der zweiten und dritten Generation vermischten Broken Beats mit der hypnotischen Wirkung der Sitar – von Cornershop bis zu der Asian Dub Foundation. In Deutschland fiel die Mauer, und plötzlich war Berlin ganz nah an Polen dran. Die Russen kamen. Und Hamburg vertiefte – auch im Rahmen einer Städtepartnerschaft – seinen Kontakt zu der zweiten Millionenstadt des Ex-Ostblocks: St. Petersburg.

Im Berliner Café Burger führte Vladimir Kaminer daher die Russendisko ein, die auf Einladung des Goethe Instituts inzwischen durch die Welt tingelt. In Hamburg kümmert sich derweil das Datscha Projekt, das jetzt in der Fabrik gastiert, um die Klänge des Balkans. Aber im Gegensatz zu der Orientalen Musik der 80er Jahre, die noch als Exotismus goutiert wurde, sind es diesmal Migranten in Deutschland die „ihre“ Musik mit Leidenschaft präsentieren. Und so sind die Blaskapellen des Balkans zum Soundtrack aktueller Urbanität geworden: Ohne jeden Umweg von Pseudo-Fremdheit gehört diese Musik heute zu Berlin und Hamburg wie die Siegessäule zur Love Parade, wie das Heiligengeistfeld zum Dom.

Die Partys des Datscha Projektes sind aufwendige Installationen aus Klang und Bild. Über zwei Projektoren laufen speziell für jeden Abend angefertigte Videoschnipsel, zusammengesetzt aus russischen Filmen der 50er bis 90er Jahre. Diaprojektoren werfen zudem private Schnappschüsse aus dem Alltag von 3.000 russischen Familien an die Wände. Wechselnde DJs heizen die Tanzfläche mit Polka Punk und Hau Ruck Rock an. Erst langsam, dann wild, erst traurig, dann stolpernd. Auch der Frankfurter House DJ Shantel hat seine Wurzeln in der Bukovina wieder entdeckt und produziert nun Remixe einer Blaskapelle. Und spätestens seit sich in den Filmen Kusturicas goldene Zahnreihen um die Mundstücke klappriger Posaunen schließen, gibt es kein Halten mehr: Erst wackelten die Mauern von Jericho, jetzt beben die Wände der Hamburger Stadttheater und Clubs, wenn das Datscha Projekt zu Gast ist.

Aber keine Datscha Party ohne Live Band. Bei ihrem Event am Freitag wird unter anderem die vielköpfige Gruppe Pakava It aufspielen, natürlich mit Bläsersatz und Banjo. Diese „Fanfaren Moskaus“ haben ihre ersten Konzerte in öffentlichen Parks gegeben, nun sind sie zu einer festen Institution in der russischen Hauptstadt geworden. Ihr Repertoire reicht von Ska über Folklore bis zu Jazz und Rock.

Der russische Künstler Ilyia Kabakov erklärte einmal, der Westen sei vollgestopft mit Waren: Alles ist Angebot, die Geschäfte scheinen nur aus Lebensmitteln zu bestehen, aufgetürmte Ravioli-Dosen, die wahrscheinlich auch ohne Regal stabil stünden. Im Osten dagegen waren die Verkaufsregale vor einiger Zeit noch karg bestückt, dafür gehörten die Räume den Menschen. Auch die U-Bahn Stationen in St. Petersburg und Moskau sind keine funktionalen Orte der Fortbewegung, sondern prunkvolle Kapellen des Volkes. Beide Metropolen sind auf sandigen Grund gebaut, weshalb man die U-Bahn Schächte tief unter die Erde legen musste: Eine Rolltreppenfahrt zu den Zügen dauert über eine Minute. Da bleibt genügend Zeit, ganze Artikel und Buchkapitel zu lesen.

Die Balkan Disco bringt den Menschen Ihre Würde wieder, die Tanzenden sind kein lebloser Teil des durchgestylten Interieurs mehr, sondern werden unter dem Dirigat der Datscha-DJs wieder zu Hauptakteuren der Räume.

Fr, 14.1., 21 Uhr, Fabrik