Die berauschende Zukunft einer einst verfemten Pflanze

Hanf ist Europas Dämmstoff Nummer Eins – zumindest wenn man nach den Zulassungszertifikaten geht. Schuld daran ist ein Maschinenbau-Ingenieur aus Sehnde bei Hannover

Bei Hanf denken viele Menschen zuerst an Haschisch oder Marihuana. Doch das ist nicht immer so gewesen und ändert sich gerade wieder. Mit dafür sorgt Heinrich Jörg Matthies aus Sehnde bei Hannover. Er war an einem Modellprojekt der Europäischen Union beteiligt. Mit Erfolg: Hanf hat das EU-Zertifikat No. 001 für natürliche Dämmstoffe erhalten – die erste europaweite Zulassung auf diesem Gebiet überhaupt. Und damit sich die Pflanze in größerem Maßstab verarbeiten lässt, hat der gelernte Feinbaumechaniker und Maschinenbau-Ingenieur mit zwei Kollegen gleich die passende Gerätschaft dazu erfunden. Das Patent ist beantragt, die Maschine schon im Einsatz.

Zum Beispiel jetzt bei der Isolierung eines Dachstuhls in Hildesheim. Matthias Köhler, der Inhaber des Hauses in der Scheelenstraße, hat sich wegen der ökologischen Vorteile für Hanf und gegen die gängigen Dämmstoffe Cellulose oder Mineralwolle entschieden. Denn selbst unter den als ökologisch eingestuften Dämm-Mitteln ist Hanf das einzige ohne chemische Zusätze. Die sind hier überflüssig, weil die Pflanze wegen ihrer enormen Festigkeit nicht von Ungeziefer befallen wird. Aus dem gleichen Grund erfüllt sie auch problemlos alle Brandschutz-Vorschriften.

Der Nachteil der großen Härte und der klettenartigen Struktur ist freilich, dass Hanf bisher nicht wie etwa Cellulose zu feinem Pulver zerkleinert und dann mit einer Maschine in Hohlräume eingeblasen werden konnte. Herkömmliche Maschinen waren sofort verstopft und verklemmt. „Wir erzeugen aber einen Pfropfen, der sofort wieder aufgelöst wird. Dann wird der zerkleinerte Hanf mit dem erforderlichen Druck durch einen Schlauch geblasen“, erklärt Heinrich Jörg Matthies seine Lösung. „Dieses Verfahren ist nicht ganz staubfrei, aber es funktioniert.“

Ursprünglich hat der gelernte Feinmechaniker und Maschinenbau-Ingenieur aus Sehnde eine Maschine konstruiert, die handelsübliche Dämmstoffe einblasen sollte. Dieses Verfahren sei gegenüber der Handarbeit schneller und damit für den Abnehmer kostengünstiger. „Doch dann habe ich in Hildesheim Kontakt zu Rainer Nowotny von der Hanffaserfabrik Uckermark bekommen“, erzählt Matthies.

Sie liegt in der Nähe von Prenzlau und verarbeitet Nutzhanf, der vor allem in ostdeutschen Bundesländern angebaut wird. Das ist seit 1993 wieder erlaubt, nachdem die Pflanze wegen ihrer berauschenden Wirkung über Jahrzehnte verboten war. Nutzhanf allerdings enthält kaum THC: Aus ihm lässt sich kein Haschisch oder Marihuana gewinnen. Dreimal jährlich kontrolliert der Zoll, ob der Anbau den Bestimmungen entspricht.

Ursprünglich, sagt der 45-jährige Matthies, sei Hanf eine wild wachsende Pflanze gewesen, die auf der ganzen Welt kultiviert wurde – als Grundstoff für Kleidung, Seile oder auch für Arzneimittel. Matthies: „Bis 1920 war Cannabis der Grundstoff von 80 Prozent aller Medikamente.“ Hanf ist eine anspruchslose Pflanze, hat tiefe Wurzeln, braucht wenig Nährstoffe und wächst so schnell, dass es Unkraut in seinem Schatten stehen lässt. Als Dämmung verwendet, hat es gegenüber anderen Materialien den Vorteil, dass es keinen absolut luftdicht abgeschlossenen Hohlraum benötigt. Anders als die ‚Konkurrenz‘ darf es ruhig feucht werden, denn die Feuchtigkeit wird auf natürliche Weise wieder ausgedünstet. Und damit verringert sich die Gefahr von Bauschäden.

Gemeinsam mit dem Prenzlauer Cannabis-Anbauer hat Matthies das Dämm-Hanf als EU-Craft-Project angemeldet und sich die Unterstützung der Europäischen Union gesichert. Einige Gebäude hat der Sehnder bereits damit isoliert, zur Zeit sind er und seine Mitarbeiter dabei, das System zu verbessern, um es noch vielseitiger einsetzen zu können.

Wer nun vermutet, die ökologische Lösung sei deutlich teurer als eine herkömmliche, liegt falsch. Die Preise sind fast identisch. Bis Ende 2004 hat das Landwirtschaftsministerium Dämm-Hanf mit 25 Euro pro Kubikmeter bezuschusst. Auch für die Zukunft seien öffentliche Fördergelder in Planung, so Heinrich Jörg Matthies. Und schließlich gibt es noch eine andere Lösung, die von allen die kostengünstigste ist. Matthies: „Man kann das auch selber stopfen.“ Nur dauert die Arbeit dann etwas länger. Ralf Neite