Die Poesie des Blockbusters

Das Mainstream-Kino aus Hollywood hat es unter kunstsinnigen Cineasten schwer. Dabei gibt es durchaus eine ästhetische Würde des Kassenerfolgs und das Gegenteil von Kunst ist nicht Unterhaltung, sondern Langeweile. Das jedenfalls finden Filmwissenschaftler auf einem Symposium in Bremen

von Wilfried Hippen

„Es gibt kaum ein Thema, das mir müßiger erscheint!“, schrieb Fritz Lang Mitte der 1920er Jahre über die Frage, ob der Film denn überhaupt eine Kunst sei. Für Lang war der Film ganz klar ein „Eigenwesen und ein Geschöpf des Jahrhunderts“, das sich nicht bei den alten Künsten anbiedern, sondern statt dessen selbstbewusst „sinnliche Attraktionen“ liefern solle. Mittlerweile sind Langs Filme wie „Metropolis“ oder „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ längst als Kunstwerke anerkannt – aber wie steht es um „Lord of the Rings“ und „Spider Man“? Feingeistige Cineasten rümpfen gerne die Nasen über das Mainstreamkino – dabei waren auch die „Sensationsfilme“ von Lang zu ihrer Zeit nichts anderes als Mainstream.

Noch in den 1960er und 1970er Jahren war das schlimmste Urteil über einen Film, er sei „kommerziell“. Heute hat das Prädikat „Mainstream“ eine ähnlich negative Konnotation: „Oft abwertend“ ist der Begriff laut Fremdwörter-Duden. Und beim Symposium „Experiment Mainstream?“ im Bremer Kino 46 weist der Kulturwissenschaftler Kaspar Haase zurecht darauf hin, dass „Mainstream“ in erster Linie ein Geschmacksurteil sei und bei Filmkritiken gerne in Sätzen wie „Für einen Mainstream-Film erstaunlich subtil in der Charakterzeichnung“ auftaucht.

Wie künstlerisch kann eine Studioproduktion also sein, die auf den globalen Markt ausgerichtet und so konstruiert wurde, dass sie möglichst vielen gefallen soll? Ist Hollywood nicht eine annähernd monopolistische Traumfabrik, die die Ausdrucksweisen des Kinos immer mehr uniformiert? Kaspar Maase spricht über die „ästhetische Würde des Kassenerfolgs“ und dreht den Spieß um: Mit dem Film habe die Kunst „Einzug in den Alltag der unterbürgerlichen Schichten“ gehalten. Durch das Kino konnte jeder jederzeit ästhetische Erfahrungen machen, „die populären Künste sind nicht weniger Kunst als die ernsten Künste der Kunstwelt – sie entfalten ihre ästhetischen Potentiale unter anderen Bedingungen.“

Die Ästhetisierung des Alltags, ein Grundtrend des 20. Jahrhunderts, wird für Maase in erster Linie durch Musik und Film vorangetrieben. Die Diskriminierung dieser Demokratisierung des Schönen verweise lediglich auf Verlustängste der traditionellen Kulturschaffenden. In den 1920er Jahren war es etwa die Krisenerfahrung der von der Massenwirkung des Kinos überrannten Literaten und Theatermacher, die zu den „Schmutz- und Schund- Kampagnen“ gegen die Populärkultur führten. Dabei ist ja nicht die vielgeschmähte Unterhaltung das Gegenteil von Kunst, sondern die Langeweile. In dem zum Teil immer noch vorherrschenden Verständnis von „ernster Kunst“ mit der Forderung nach „der intensiven (Mit-)Arbeit an der Erschließung des Schönen in seiner Komplexität“, entdeckt Maase „eine Verlängerung der Zwänge der Arbeitsgesellschaft.“ Die Bemühungen, Einflüsse der bildenden Kunst in Unterhaltungsfilmen zu finden, wirken dann meist wie missglückte Veredelungsversuche.

Aber man kann die Frage ja auch umdrehen: Wieviel Mainstream ist in der Kunst? Seit Andy Warhol lassen sich regelmäßig Maler, Fotografen und Konzeptkünstler von den Populärkulturen inspirieren: Im Experimentalfilm hat sich daraus ein ganzes Genre entwickelt. Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Kurzfilmen, Videos oder Installationen, die auf „Found Footage“ basieren, also auf gefundenen Ausschnitten aus kommerziellen Filmen, die dann verfremdet, anders montiert oder endlos wiederholt werden. Teils wurden sie von einer medienkritischen Position heraus dekonstruiert, teils aber auch erotisiert und als autobiographisch prägende Eindrücke dargestellt.

Aber warum haben so viele Filme aus Hollywood solch eine immense Wirkung? Wie baut man dort einen Blockbuster? Ein sicheres Erfolgsrezept gibt es nicht, sonst gäbe es nicht immer wieder Flops wie „Pearl Harbour“. Und doch gelingt es den Studios immer wieder, Filme zu produzieren, die zwar typisch amerikanisch sind und dennoch weltweit ihr Publikum rühren, aufregen, amüsieren oder trösten.

Großen Einfluss auf Hollywoods Drehbuchschreiber hat seit „Star Wars“ der Mythologe Joseph Campbell, der die Mythen der Welt untersucht und aus ihnen eine Art narrativen Code destilliert. Dessen Elemente wie „die innere Reise“, „die Schwelle“, „die Verwandlung“ oder die „Überhöhung des Helden“ verwenden viele Autoren Hollywoods wie nach einem Baukastenprinzip: „Titanic“ oder „Das Schweigen der Lämmer“ beispielsweise sind deutlich nach dieser Formel gebastelt.

Wie komplex solch ein Unterhaltungsfilm sein kann, macht der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser mit einem Text zu „Forrest Gump“ deutlich. Bis heute entzünden sich an diesem 1994 gedrehten Film polemisch geführte Kontroversen. Regisseur Robert Zemeckis wird vorgeworfen, reaktionäre und rassistische Geschichtsverfälschung zu betreiben. Elsaesser sieht die umstrittenen digital manipulierten Einstellungen, in denen der einfältige Titelheld in historischen Aufnahmen neben John F Kennedy, Lyndon Johnson oder Richard Nixon auftaucht, dagegen nicht als „gefälschte Bilder“, sondern als satirische Hinweise auf „Leerstellen“ in der amerikanischen Geschichte.

Dadurch werden für Elsaesser „Wahrheiten transportiert und Möglichkeiten des Dialogs eröffnet“. Man muss ihm nicht bis zu seiner recht abenteuerlichen These, dass „Forrest Gump“ im Grunde ein afroamerikanischer Filmheld sei, folgen. Aber wenn er dem Film eine „neue Poetik des Mainstream-Kinos“ attestiert, dann kann man das Fragezeichen hinter „Experiment Mainstream?“ getrost streichen.