„Der Kampf ist nicht verloren“

INTERVIEW CHRISTIAN FÜLLER
UND ULRIKE WINKELMANN

taz: Morgen wollen Studierende gegen Studiengebühren demonstrieren. Was erwarten Sie von diesen Demos?

Dorlies Last: Die Studierenden finden sich mit Studiengebühren ab, weil sie hoffen, dass es jetzt mal vorangeht. Sonst hätte es nach dem Urteil des Verfassungsgerichts zu Studiengebühren nicht nur vereinzelte Demonstrationen gegeben.

Steffen Krach: Ich glaube, das werden keine einsamen Aktionen bleiben. Morgen werden bundesweit Demonstrationen durchgeführt – in fünf Städten. Weitere Proteste werden folgen.

Haben Sie nicht auch den Eindruck, dass die Mobilisierungsfähigkeit stark nachgelassen hat?

Krach: Nein, wenn Landesregierungen erst mal ganz konkret Gebühren beschließen, werden die Studierenden aufwachen, da bin ich sicher. Denn es gibt kein sozial gerechtes Modell von Studiengebühren.

Jens Bemme: 5 Prozent der Studierenden sind für Studiengebühren, 5 Prozent sind dagegen – und 90 Prozent haben keine Ahnung. Die können argumentativ damit überhaupt nicht umgehen. Es ist doch supereinfach, auf die Straße zu gehen, weil man dagegen ist, 500 Euro zu bezahlen. Aber es ist viel schwerer, zu formulieren, unter welchen Bedingungen welches Gebührenmodell funktionieren könnte.

Krach: Ich traue den Studis mehr zu. Die durchschauen die Gebührendebatte. In Urabstimmungen, etwa in Hannover, haben sich über 90 Prozent gegen Gebühren ausgesprochen.

Last: Da würde mich aber interessieren, wie hoch die Wahlbeteiligung war …

Sie lag bei 20 Prozent …

Last: … das relativiert das Ergebnis natürlich. Ich wäre vorsichtig mit der gedanklichen Tiefe der Studis auf der Straße. Es ist für viele halt irgendwie schick, einmal im Studentenleben auf die Straße gegangen zu sein.

Krach: Das mag das Bild des RCDS sein. Ich habe eine politische Überzeugung, die Studis haben sie – und dafür werden wir demonstrieren. Ein Viertel der Studierenden muss schon jetzt mit weniger als 600 Euro auskommen, das heißt, sie leben unterhalb der Armutsgrenze. Bei Gebühren von nur 500 Euro pro Semester, macht das 83 Euro mehr Belastung aus. Jeden Monat. Und es sind ja bereits Gebühren von bis zu 3.000 Euro im Semester im Gespräch.

Seitdem das Verfassungsgericht die Studiengebühren in die Hände der Länder gelegt hat, schwirren dutzende von Modellen durch die Gegend. Welches bevorzugen Sie?

Last: Wir vom RCDS sind für nachlaufende Studiengebühren, die über Kredite vorfinanziert werden. Die sind sozial verträglich, weil die Gebühren erst fällig werden, wenn man schon im Beruf ist. Und es bringt den Unis sofort frisches Geld, weil Banken die Mittel vorstrecken. Das ist allerdings unsere Bedingung: Das Geld muss direkt in die Unis fließen, und es muss zusätzlich sein. Man müsste also einen Mechanismus finden, die den Staat davon abhalten, das Gebührengeld für andere Zwecke zu missbrauchen.

Krach: Es ist kein Geheimnis, dass wir gegen jede Form von Studiengebühren sind. Die soziale Selektion wird sich durch Gebühren verstärken. Welche Mittelstandsfamilie schickt seine Kinder auf die Uni, wenn sie – wie eine Bank gerade vorgerechnet hat – Schulden von bis zu 126.000 Euro für ein Studium aufhäuft.

Bemme: Ach was, machen wir uns doch nichts vor. Wenn man Gebühren im Bereich von 500 Euro nach dem Studium abstottern kann, dann macht das für den, der morgen an die Uni kommt, nur einen kleinen Unterschied. Aber das ist doch das Bekloppte an unserer Gebührendebatte. Seitdem ich mich mit Kommilitonen vor zwei Jahren in einem Offenen Brief bereit erklärt habe, mich finanziell an der Uni zu beteiligen, gibt es für Journalisten nur die eine Frage: „Herr Bemme, wie viel wären sie bereit, für die Uni zu bezahlen?“ Dabei geht es nie um die Details der Modelle. Aber genau darüber muss man doch endlich nachdenken dürfen.

Krach: Es ist doch absurd, über nachlaufende Studiengebühren für Studierende zu reden – und zugleich den Spitzensteuersatz auf 42 Prozent abzusenken.

Pardon, aber welche Partei hat denn den Steuersatz gesenkt?

Krach: Ja, die SPD, ich weiß das doch. Da liegt eben der Unterschied zwischen RCDS und Juso-Hochschulgruppen. Wir trauen uns noch, unsere eigene Partei zu kritisieren.

Bemme: Wir drehen uns schon wieder im Kreis. Wir diskutieren ewig – aber es tut sich nichts. Deswegen haben wir von der Studentenstiftung gesagt: So, wir sammeln jetzt 3.000 Euro – und öffnen so die Bibliothek auch sonntags. Man muss doch mal was machen!

Das klingt gut. Nur handeln die Länder gerade. Jede Annahme, wir kämen zu sozial ausgewogenen Gebührenmodellen, hat sich erledigt.

Bemme: Moment mal, das höre ich jetzt seit zwei Jahren: „Bemme, du bist der böseste Tabubrecher.“ Nur gibt es ohne Nachdenken keine Bewegung. Die Jusos haben damals gesagt: „Diese Diskussion muss aufhören!“ Ich frage mich: Was ist denn daran demokratisch? Wenn die Jusos am Ende einer Debatte Recht behalten, bitte schön. Dann soll alles so bleiben, wie es ist. Wenn die Jusos mir aber verbieten, über die Veränderung des Status quo auch nur zu reden, dann sind sie für mich kein Gesprächspartner. Ich möchte mir meine Meinung gern selbst bilden.

Krach: Wir verbieten niemandem, über Gebühren zu sprechen. Aber wir halten es für einen großen Fehler. Weil ihr Aufgaben übernehmt, die der Staat zu erledigen hat.

Welche Aufgaben sind damit gemeint?

Krach: Die Bibliothek am Sonntag offen zu halten. Aber es geht nicht nur um die Unis. Der Staat muss seine Verantwortung für Bildung, Kultur und Soziales übernehmen. Wir jedenfalls werden den Privatisierungstendenzen auf breiter gesellschaftlicher Front entgegenwirken.

Jetzt ist die Bibliothek offen. Ohne die Sammlung wäre sie geschlossen.

Krach: Politik heißt auch, langfristig zu denken. Aus welcher Ecke kommen denn die Ideen für Studiengebühren? Von den Wissenschaftsministern etwa? Nein, von Finanzministern, die nach Wegen suchen, wie sich der Staat aus der Finanzierung der Hochschulen zurückziehen kann. Wer glaubt, durch Gebühren kommt mehr Geld in den Unis an, ist doch naiv.

Bemme: Also ich finde zum Beispiel das Gebührenmodell der Uni Witten-Herdecke spannend, weil es das erste funktionierende System ist. Die Studierenden dort verwalten die Gebühren selber. Das heißt, die dürfen nicht nur ein bisschen Geld zählen, sondern die haben Sitz und Stimme im Aufsichtsrat der Uni. Sie entscheiden über die Höhe der Gebühren. Ich weiß, dass dieses Modell nicht ohne weiteres auf eine Hochschule mit 30.000 Studierenden übertragbar ist. Eine Utopie ist es allemal.

Wieso?

Bemme: Weil man über Demokratie an der Uni mal ganz anders reden könnte. Auch wenn viele das gar nicht mögen, weil das auch mit Geld zu tun hätte. Witten zeigt: Die Studierenden können einen Fuß in die Tür bekommen.

Was uns besonders interessiert: Hindern Studiengebühren die Studierenden, ein kritisches Bewusstsein zu entwickeln?

Krach: Studiengebühren sind Studienzeitverkürzung durch Zwang. Das verträgt sich schlecht mit Kritik. Deswegen wollen wir es jedem Menschen ermöglichen, wenn nötig auch 16 Semester an der Hochschule zu bleiben. Wir Jusos werden uns vom Humboldt’schen Bildungsbegriff der Persönlichkeitsentwicklung nicht verabschieden.

Bemme: Ist ja schön. Nur muss ein Student doch auch die Möglichkeit haben, nach sechs Semestern oder nach zehn einen Abschluss zu bekommen.

Krach: Ich will niemanden dazu zwingen, 16 Semester an der Hochschule zu bleiben. Nur muss dies eine persönliche Entscheidung sein – und darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen.

Frau Last, können Gebühren die Studierenden schlauer machen?

Last: Immerhin würden Abiturienten die Entscheidung für ein Studium viel bewusster fällen. Sie würden sehr viel genauer drauf schauen, was sie machen wollen.

Ist es denn gerecht, an der Spitze des Bildungssystems für eine Elite einen Ort mit unbegrenzten Freiheiten zu reservieren? Während unten im Kindergarten fleißig abkassiert wird?

Krach: Das Letzte, was man tun darf, ist diese Gruppen gegeneinander auszuspielen. Man muss das ganze Bildungssystem in den Blick nehmen. Die Gebühren für Kindergärten sollten abgeschafft werden. Die Kinder müssen länger gemeinsam zur Schule gehen, das legen die Ergebnisse der Pisastudie nahe. Zudem brauchen wir auf jeden Fall weiter ein gebührenfreies Hochschulstudium. Und ein verbessertes Bafög. Das sind die Grundpfeiler.

Last: Jeder muss die Chancen haben, gerade in den lernintensivsten Jahren, umsonst an Bildung zu kommen, da bin ich einverstanden. Aber ich spreche mich klar für die dreigliedrige Schule aus.

Bemme: Ich habe zwei Wünsche: Meine Kinder sollen acht Jahre gemeinsam zur Schule gehen. Und an möglichst vielen Hochschulen sollte es Studentenstiftungen geben – so eine, die wir sie gerade an der TU Dresden gründen. An einer dieser Stiftungen können sich meine Kinder dann um Stipendien bewerben.

Der freie zusammenschluss der studierendenschaften (fzs) hat sich geweigert, mit Ihnen dreien hier an einem Tisch zu diskutieren. Welche Rolle kann dieser Studentendachverband in der Gebührendebatte eigentlich spielen?

Krach: Der fzs hat eine wichtige Funktion. Er muss die Proteste organisieren. Der Kampf gegen Studiengebühren ist noch nicht verloren.

Ist der fzs überhaupt dazu legitimiert, für die Studierenden zu sprechen?

Last: Er erhebt den Anspruch, aber er schafft das unserer Ansicht nach nicht. Ich finde es typisch, dass der fzs sich weigert, mit uns zu sprechen. Es reicht nicht, nur das Schild mit dem großen Nein hoch zu halten.

Bemme: Ich habe bislang keinen großen Einfluss des fzs auf mein Leben verspürt.