Die Spur des Bösen

Retrospektive der Nordischen Filmtage im Metropolis: Håfströms ,„Evil“ als Universum der Gewalt

von Daniel Wiese

„Für einen wie dich gibt es nur ein Wort: Du bist absolut böse“, sagt der Schuldirektor, und diese Sätze hallen auf der Tonspur, hallen in Eriks Kopf nach, als er die Treppe der Schule hinunterstürmt, in die er nicht mehr zurückkann, jetzt nicht mehr.

Tatsächlich ist dieser Erik nicht besonders sympathisch. Eine der ersten Szenen des Films zeigt, wie er einen Mitschüler zusammenschlägt, der schon am Boden liegt, blutüberströmt. Eriks Gesicht ist in dieser Szene pure Entschlossenheit, seine Faust landet mitten im Gesicht des Opfers, mitten im Blut.

So beginnt Evil, der Film von Mikael Håfström, der bei den Norddeutschen Filmtagen in Lübeck lief und den jetzt das Metropolis zeigt, als klassischer Schlägerfilm mit einem negativen Helden. Wie Erik vor dem Schuldirektor steht, gelangweilt auf die Uhr schaut, sich wegdreht, wenn der Direktor mit ihm redet, lässt wenig Hoffnung aufkommen. „Ich prohezeie dir, dass du nie einen Fuß in ein öffentliches Gymnasium setzen wirst“, mit diesen Worten wird Erik entlassen.

In Schweden war Evil (Originaltitel: Ondskan) einer der erfolgreichsten Filme der letzten Jahre, zwei von neun Millionen Schweden haben ihn gesehen. Die Vorlage zum Film stammt vom schwedischen Krimiautor Jan Guillou und trägt autobiographische Züge, auf der Taschenbuchausgabe ist ein Foto des jungen Gillou abgedruckt.

So viel Publicity stimmt skeptisch, doch der Film ist ein kleines Wunder. Erik, das Arschloch, wird in ihm zu Erik, dem Helden. Und es gibt kein Bekehrungserlebnis. Eine Erklärung wird angeboten, warum er so ist, wie er ist, man sieht seinen prügelnden Stiefvater, wie er den Gürtel abnimmt, dann geht die Tür zu, und die Mutter stürzt ans Klavier und beginnt wild und elegisch zu spielen.

Dieser Erklärungsversuch ist vielleicht das Einzige an Evil, das nervt. Ansonsten ist der Film meilenweit entfernt von allem sozialpädagogisch gut Gemeinten. Er zeigt einfach nur eine Reihe von Ereignissen, in deren Mittelpunkt Erik steht, mit seinem durchtrainierten Jungenkörper. Erik ist reine Präsenz, unglaublich gut gespielt von Andreas Wilson. Es gibt da keinen Spalt, in den Reflexion eindringen könnte oder Moral.

„Und was ist dein Held“, fragt ihn einmal einer seiner Mitschüler. „James Dean“, sagt Erik und erinnert dabei selbst an James Dean oder vielleicht auch ein bisschen an den jungen Steve McQueen. Man weiß nicht, was er im nächsten Augenblick tun wird, aber es wird bestimmt interessant.

Denn wenn Erik eines nicht kann, dann dies: sich unterordnen, und genau das wird in dem Internat, in dem er landet, von ihm verlangt. Es ist eine Eliteschule, kontrolliert von adligen Schülern, die im „Olymp“ wohnen und genauso unberechenbar sind wie die Götter. Sie haben ein raffiniertes, faschistoides System der Einschüchterung entwickelt, das von den Lehrern geduldet wird, die stolz sind auf den guten Ruf der Schule, die „Kameradschaft“.

Für die neuen Schüler ist diese Kameradschaft die Hölle, und Erik wird der Einzige, der sich dem System widersetzt. Er ordnet sich nicht unter, er entschuldigt sich nicht. Er steht einfach da und hält stand – auch wenn das bedeutet, dass er sich eine Zigarette auf der nackten Brust ausdrücken lässt.

Mit seiner schläfrigen, selbstbewussten Körperlichkeit steht er in einer Reihe mit den jungen Helden des amerikanischen Kinos, und weil Evil ganz offensichtlich in den 50er Jahren spielt, wirkt das nicht weiter merkwürdig. Man könnte den Film als eine Beschreibung lesen, wie das Böse wandert, aus Erik heraus, hinein in die Silverhelms und Dahléns, und wie seine Peiniger am Internat sonst noch heißen. Das Böse ist keine Eigenschaft, es ist eine Macht. Das lässt sich in Evil lernen.

Retrospektive Nordische Filmtage: ab Fr, 4.2. im Metropolis. „Evil“: Mo, 7.2. 19 Uhr