Immer noch Porsche

Weltmarktführer für einen Tag: Klaus Stern hat einen Film über den früheren „Biodata“-Chef Tan Siekmann gedreht

Für die, die nicht dabei waren, war der Neue Markt ein unbekanntes Land. Eher belustigt ließ man Freunde, die auf Besuch waren, an seinen Computer, wo sie interessant aussehende Börsenseiten anklickten und in zugleich schick und unseriös aussehenden Chats mit anderen Aktieninhabern fachsimpelten.

Irgendwie kam einem das Interesse für die Börse ein bisschen crazy vor; nicht in erster Linie böse, obgleich die Börse die Speerspitze der Ungerechtigkeit ist, sondern eher exotisch, so wie es einem als links sozialisiertem 70er-Jahre-Menschen eben komisch vorkommt, wenn sich jemand für Autos, Bausparen oder Snowboarden interessiert.

Nachdem er sich in seinem ersten Film mit Andreas Baader beschäftigt hatte, porträtiert der Kasseler Filmemacher Klaus Stern nun „Weltmarktführer“ Tan Siekmann. Der mittlerweile 38-jährige Siekmann war einer der großen Stars der New Economy. Seine auf Datenverschlüsselung spezialisierte Firma „Biodata“ war das deutsche Vorzeigeunternehmen am Neuen Markt. In der Boomphase beschäftigte das Unternehmen 350 Mitarbeiter in 27 Ländern und am Firmensitz sogar einen Philosophen, so als Gag wohl. 2000 wurde Siekmann zum Manager des Jahres gewählt. Auf dem Papier war seine Firma zwischenzeitlich 2,1 Milliarden Euro wert. Dann kam der Abstieg.

Ende 2001 meldete Biodata Insolvenz an, und die Staatsanwaltschaft Kassel erhob Anklage gegen den ehemaligen Biodata-Chef Tan Siekmann und zwei seiner früheren Geschäftsführer. Verfahren wegen Insidergeschäften mit Aktien und Verletzung der Buchführungspflicht laufen immer noch. Kleinaktionäre mit komischen Modelleisenbahnen in ihrem Garten verloren ihr Geld, Tan Siekmann fährt immer noch Porsche.

Klaus Stern begleitete den umtriebigen Geschäftsmann ein Jahr lang nach der Pleite bei seinen Versuchen, einen Neuanfang hinzukriegen. Man sieht, wie Siekmann auf Betriebsversammlungen Mitarbeiter vertröstet, die seit Monaten auf ihr Gehalt warten, wie er auf einer Automobilmesse in einem Porsche probesitzt, in seinem Flugzeug herumfliegt oder sich nervös am frühen Morgen mit einem Kollegen in einem Hotelzimmer in Atlanta auf einen Prozess vorbereitet, den sein ehemaliger Amerikavertreter gegen ihn angestrengt hat. Mutti erzählt was über ihren Sohn und wie verwegen er schon als kleiner Junge war; Klassenkameraden berichten, dass sie Siekmann, das leicht außenseiterische Reichenkind, schon immer für unseriös gehalten haben, und am Ende präsentiert der ehemalige Tycoon, dessen übertriebenes Selbstbewusstsein zuweilen an den jungen Frank Schirrmacher erinnert, in einer trashig wirkenden Show im ehemaligen Firmensitz Burg Lichtenfels im Nordhessischen ein neues tolles Datenverschlüsselungshandy.

Über den Neuen Markt, die Verantwortlichkeiten von Banken und Börsenberichterstattern bei der Überbewertung von Aktien erfährt man nicht allzu viel. Darüber detailliert zu berichten wäre vielleicht auch öde und zu langwierig. Der Film ist oft sehr lustig und sein Held nicht unbedingt unsympathisch. Halt so ein leicht nerdiger Schwätzer mit Spezialwissen, ökonomischer Fantasie und einem jungshaften Hang zu Statussymbolen.

Interessant ist noch, dass die grotesken Mitarbeitermotivationsstrategien und der betont flachhierarchische Umgang der Leute in der biodata-Firma irgendwie an die Post-89er-taz erinnern. Vielleicht hatten sich die ersten Chefredakteure dieser Zeitung von ähnlichen Unternehmensberatern beraten lassen. DETLEF KUHLBRODT

„Weltmarktführer – Die Geschichte des Tan Siekmann“. Regisseur: Klaus Stern, 94 Minuten, D 2004