Überwachen, strafen, versöhnen

Edle Wilde, verrückte Weiße: Régis Wargniers Film „Man to Man“ im Wettbewerb versucht, den Abenteuerfilm kritisch zu buchstabieren – und präsentiert dabei den Wissenschaftler als Trio aus Bösewicht, Aufgeklärtem und Irren

Der Himmel über Afrika ist hoch, der Horizont weit, der Dschungel undurchdringlich. Man kennt diese Bilder. Man kennt auch die Töne: das Schmettern der Trompeten, die orchestralen Geigen, wenn sich zwischen den weißen Kolonisatoren Drama oder Liebe anbahnt. „Man to Man“ ist ein Genre- und Ausstattungsfilm. Er erzählt, wie der schottische Wissenschaftler Todd (Josef Fiennes), assistiert von einer afrikaerfahrenen Tierhändlerin (Kristin Scott Thomas), 1870 zwei Pygmäen aus dem Urwald entführt. Sie sind, wie Todd glaubt, das missing link zwischen Affe und Mensch – und für ihn der Weg zu Ruhm und Ehre.

Die Anfangsszene, in der die beiden Pygmäen gejagt werden, ist konventionell inszeniert. Die Kamera behandelt sie als Objekte, aber schon in dieser Actionszene liegt etwas Ungewohntes: Es ist eine Vertreibung aus dem Paradies, der neue Gott ist die weiße Wissenschaft. Dafür werden die Wilden in Schottland eingesperrt, gezähmt, vermessen, im Zoo präsentiert.

Der Kamerablick in „Man to Man“ bleibt lange, bis zum Fluchtversuch der Pygmäen, ein Kontrollblick durch die Gitterstäbe ihres Gefängnisses. Der Plot indes entwickelt eine Rollenumkehrung: Als wahrer Barbar entpuppt sich der Wissenschaftler Auchinlek, der die Objekte seiner Begierde töten muss, um sie deuten zu können; die wahren zivilisierten Erwachsenen sind die beiden Pygmäen. Im Zentrum steht die wundersame moralische Erweckung des Doktor Todd, der begreift, dass das Problem nicht das Wilde, sondern seine Zivilisation ist, die das Andere einsperren, begaffen und töten muss. Die interessanteste Figur des Wissenschaftler-Trios ist Fraser, ein verzweifelter Herrenmensch, der im Irrenhaus endet. Die Dreiteilung des weißen Wissenschaftlers in den ehrgeizigen Bösewicht, den reflexiven Aufgeklärten und den Irren ist etwas schematisch, aber nicht unglaubwürdig.

„Man to Man“ ist unterhaltsam, aber nicht zu sehr, politisch korrekt, ohne aufdringlich zu werden: in den besten Passagen eine Mixtur aus Jack London und Michel Foucault. Am Ende bringt Todd die Pygmäin zurück in den Dschungel: eine Versöhnungsgeste. Angesichts der Praxis der rassistischen Wissenschaft des 19. Jahrhundert ist das ziemlicher Kitsch. Aber im Zweifel entscheidet sich Wargnier nicht für die Tatsachen, sondern für die Wahrheit des Märchens.

STEFAN REINECKE

„Man to Man“, 11. 2., 12 und 15 Uhr, Urania