Ein Ja für die Üppigkeit!

Hüften schaukeln in mordsengen Jeans: „U-Carmen eKhayelitsha“ (Wettbewerb) bringt die ernste Sache Carmen mit Vergnügen und vielen Zigaretten zum Ende

In Khayelitsha ist die „Carmen“-Sängerin Pauline Malefane geboren, und in einem südafrikanischen Township von heute brilliert Bizets Oper, alles andere als abgenudelt. Wo ich mir sonst die Ohren zuhalte, wenn es wieder mit Auf-in-den-Kampf-Torero losgeht. Im Film vom Opernregisseur Mark Dornford-May weiß ich, was es mit meinem alten Weghören auf sich hat. In dem neuen südafrikanischen Film wird klar, wie reguliert, reduziert, weginszeniert meine Carmens bislang waren, on diet die Sängerinnen, gar die Darbietung insgesamt. Jetzt mache ich auf meine alten Tage die neue Erfahrung, dass ich auf üppige Frauen und dicke Männer stehe.

Den lieben langen Film hindurch Mordshüften, Superschenkel, Bäuche, jawohl, und dann die Riesenbrüste, die bei uns, an den Magerkörpern, nur als Implantat erscheinen können. Halten wir fest: Üppig sein ist total erotisch, wenn man sich so bewegen kann wie die Südafrikaner im Township, die Hüften schaukeln in mordsengen Jeans – nicht meinetwegen, sondern ihretwegen. Eine ernste Sache ist die Carmen-Tragödie gewiss, doch kann man das mit viel Spaß und Witz zu Ende bringen, was man sich hierzulande merken sollte: Das Sortieren in Show-für-die-Zielgruppe und Anliegen-für-Problemlöser ist dürftig. Ein großes Ja fürs Üppige! Und wie war das eigentlich zu Bizets Zeiten? Wie sahen denn die Frauen bei Renoir aus? Und wenn wir schon dabei sind: Wer sonst kann beim Hüftenwiegen und Singen den Kaffeebecher, der grad in der Hand ist, auf den Kopf stellen? Und geraucht wird dazu, wenn es Spaß macht, also immer. Ich kenne keine Inszenierung, in der so wahrheitsgetreu wie genussvoll beschrieben wird, wie das ist, wenn man den Rauch der Lunge entsteigen lässt und sieht, wie er sich mit der Luft vermischt. Gleich fang ich wieder an damit. Ende der Diskussion.

Die Arbeit in der Zigarettenfabrik, das Leben im Township, all das hat dokumentarischen Anstrich. Zwischen Inszenierung und Abbild wird nicht sortiert. Auch nicht berücksichtigt, dass die Polizei von Kapstadt den Film unterstützt hat – jedenfalls dort nicht, wo korrupte Polizisten Frauen schlagen und Sex erpressen. Nichts mit Sponsor-Bedienen. Umgekehrt. Die „Carmen von Khayelitsa“ nutzt die Bizet-Vorlage, um schnell mal zu zeigen, wie Kollegen fürsorglich im richtigen Moment ein Kondom ins Auto werfen. Oder wie man die Oper ebenfalls im richtigen Moment mit traditioneller, aber aktueller afrikanischer Musik unterfüttert. Das große Finale ist nicht Bizet, sondern Eigenes, mindestens ebenbürtig in der Schlusstotalen.

Umgekehrt ist es uns mit dem Film ergangen, der beim Drehen noch „Die Spalte“ hieß. In Simbabwe. Aber der Regisseur war ein Weißer (Schlingensief), und ich war weiß uniformiert, kolonialzeitmäßig. Die verführerische Ortsmusik von Harare wurde in der Endmischung („United Trash“) eliminiert. Carmen aus Khayelitsha hat meinen Gefühlshaushalt wieder aufgepäppelt. Danke! DIETRICH KUHLBRODT

„U-Carmen eKHAYELITSHA“, 14. 2., 9.30 und 18.30, Urania sowie 22.30, International