Filme neu erfinden

Hochkultur-Kritik ödet ihn an: Wolf Haas über „Silentium“ (Panorama), die zweite Verfilmung eines seiner Krimis

taz: Herr Haas, Ihr Romanheld Simon Brenner unterscheidet zwischen Problemfilmen, nach denen man erst mal gehörig trinken muss, um wieder zu Laune zu kommen, und richtigen Filmen, also großem Kino. Was für ein Film ist denn „Silentium“ geworden?

Wolf Haas: Ich hoffe, es ist schon ein richtiger Film geworden! Das ist aber vor allem das Verdienst von Wolfgang Murnberger, dem Regisseur. In Österreich haben wir nämlich eine spezielle Situation: Im Grunde sind die Filmbudgets zu klein, um richtige Filme zu machen. Aber als ich mich das erste Mal mit Murnberger zur Vorbereitung unseres ersten gemeinsamen Films „Komm, süßer Tod“ getroffen habe, hat er gleich als Grundprogramm für sich selbst formuliert: Ich möchte nicht so einen typisch langsamen österreichischen Film machen.

Österreichische Filmemacher haben es nämlich kultiviert, aus der Not eine Tugend zu machen und ohne Geld auszukommen. Das hat auch manchmal funktioniert, aber wir hatten schon den Ehrgeiz, dass es ein richtiger Film werden sollte – trotz aller Beschränkungen durch das Budget.

In dem Salzburg, das „Silentium“ zeigt, springt ein missbrauchter Klosterschüler in den Tod, und der Star-Tenor der Festspiele ist in Menschenhandel verwickelt. Wie viel hat das mit dem tatsächlichen Salzburg zu tun?

Für mich ist es ein ganz wichtiger Aspekt, dass meine Hauptfigur, der Brenner, keine Wohnung hat und so jeder Fall an einem anderen Ort spielen kann. Das ermöglicht mir nämlich, die Romane so zu schreiben, dass sie am jeweiligen Ort verwurzelt sind und sich die Geschichte aus dem Ort heraus entwickelt und nicht andersherum.

Geht es Ihnen also um so etwas wie Sozialkritik, wenn Sie die Salzburger Kirche und Kulturszene als korrupt und moralisch verkommen darstellen?

Nein, als ich den Roman geschrieben habe, war das fast ein Grund, ihn nicht zu schreiben. Sowohl Hochkultur-Kritik als auch Kirchen-Kritik ödet mich an. Das wurde schon vor Jahren zur Genüge gemacht. An Salzburg als Ort fand ich vor allem interessant, dass man dort eher eine grundsätzlichere Kritik an Aufgeblasenheit und Saturiertheit ansetzen kann. Salzburg ist ja eine wahnsinnig reiche Stadt. Und wenn so ein Milieu wie ein aufgeblasener Luftballon ist, dann kriegt man einfach unbändige Lust, da mit einer Stecknadel hineinzugehen und zu schauen, was danach noch übrig bleibt.

Nach „Komm, süßer Tod“ ist „Silentium“ das zweite Buch aus Ihrer sechsteiligen Serie von Simon-Brenner-Krimis, das verfilmt wurde. Warum haben Sie sich zusammen mit Regisseur Murnberger für „Silentium“ als Filmvorlage entschieden?

Das war eher Zufall. „Komm, süßer Tod“ war einfach der Roman, mit dem ich in Österreich bekannt geworden bin und der deshalb als erster verfilmt wurde. Und „Silentium“ ist halt als nächstes erschienen.

Sonst sprach nichts für „Silentium“?

Ja, mir wären alle anderen Bücher genau so recht gewesen. Ich bin mir da mit Murnberger und Josef Hader, dem Darsteller des Simon Brenner, mit denen ich die Drehbücher geschrieben habe, einig, dass man die Filme im Grunde völlig unabhängig von den Buchvorlagen neu erfinden muss.

Wie sieht die Arbeitsaufteilung zwischen Ihnen drei aus?

Die wichtigsten Entscheidungen trifft Murnberger, in dem er das Treatment schreibt und so auswählt, welche Szenen und Figuren aus dem Buch filmisch was hermachen. Dann schreibt der Hader die nächste Version und dann wieder ich. Obwohl wir zu dritt sind, wird es aber nicht weniger Arbeit. Leider ist es nämlich selten so, dass einer eine 40-prozentige Idee hat und der andere eine 100-prozentige und wir uns sofort auf die 100-prozentige einigen können Meistens haben wir alle 70-prozentige Ideen. Dann wird es kompliziert.

Wer setzt sich dann durch?

Meistens verläuft es nach dem Prinzip: Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte. Denn wenn sich zwei an einem Problem verhakeln, kann der dritte es lösen. Wobei wir auch nicht die totale Harmonie gesucht haben und es immer wieder Konflikte gab. Zum Schluss sind wir trotzdem jedes Mal auf einen grünen Zweig gekommen.

Das klingt, als wenn Sie nach dieser Zusammenarbeit erst einmal eine Erholungspause bräuchten.

Das stimmt. Aber die brauche ich nach jeder Arbeit – auch, wenn ich nur mit mir selbst zusammenarbeite.

INTERVIEW: HANNAH PILARCZYK