„Zensur kann Künstlern Kraft verleihen“,sagt Lu Chuan

Chinas Filmemacher müssen mit der Partei kämpfen. Demokratie und Ideologiefreiheit werden sich durchsetzen

taz: Wie gefällt Ihnen Berlin?

Lu Chuan: Das Brot ist zu hart, und das Essen schmeckt nicht. Aber die Menschen sind sehr nett.

Hilft Ihnen die Teilnahme an der Berlinale weiter?

Ich will unabhängige Filme machen, dafür habe ich mein eigenes Studio gegründet und brauche Geld. Hier kann ich internationale Kontakte aufnehmen und ausländische Firmen einladen, nach China zu kommen, um in meine Filme zu investieren. Das ist nämlich, sage und schreibe, erlaubt.

China boomt doch. Bekommen Sie zu Hause nicht genug Geld?

Viele Menschen in Peking behaupten, dass sie viel Geld haben. Erst wenn man lange mit ihnen zusammensitzt, erfährt man, dass die meisten von ihnen lügen. Also muss ich mich ständig mit Lügnern treffen. Die letzte Wochen war ich jeden Tag unterwegs, mein Magen litt bereits unter den vielen Verabredungen. Nichts ist schlimmer als eine Filmvorbereitung in China.

Wie wollen Sie von Ihren Geldgebern unabhängig bleiben?

Ich möchte keine Filme für die großen staatseigenen Filmfirmen machen, und ich bin gegen die so genannten Undergroundfilme, die allein von ausländischen Festivals leben. Mit dem Rest kann ich leben.

Auch mit der Zensur der Kommunistischen Partei?

Da denke ich anders als die meisten Filmemacher in China. Meine beiden ersten Filme habe ich ohne Schaden durch die Zensur bekommen, auch wenn ich beim ersten Mal eineinhalb Jahre auf die Genehmigung warten musste. Man muss bei den Zensurbehörden so lange mit den Kopf gegen die Tür stoßen, bis sich die Tür öffnet.

Sind Sie ein Dickschädel?

Statt vor der Zensur zu fliehen und ins Ausland zu gehen, um dort antikommunistische Parolen auszurufen, sollten Chinas Filmemacher lieber daheim um die Veränderung der Zensur kämpfen. Zensur und Unterdrückung können den Künstler stark machen und seinem Werk Kraft verleihen. In voller Freiheit und ohne jede Beschränkung fehlt dem Künstler dagegen oft eine innere Kraft.

Wie schätzen Sie als Intellektueller die politische Lage in China ein?

Die Frage ist doch, was folgt aus dem rasanten Wachstumstempo? Die Konsequenz der letzten 20 Jahre war, dass der Lebensstandard der meisten Leute stark gestiegen ist. Ich denke, wenn es so weitergeht, werden sich politische Reformen, Demokratie und Ideologiefreiheit automatisch durchsetzen. Das kann noch zehn oder zwanzig Jahre dauern. Aber China ist auf dem richtigen Weg. Schon jetzt kommen wir dem Westen näher, weil die Wirtschaft eine zunehmend dominierende Rolle spielt – und nicht mehr der Wille der Partei.

Finden Sie das gut?

Wenn ich in Peking auf der Straße stehe, weiß ich manchmal nicht mehr, ob ich noch in China bin. Weil das, was man sieht, auch Schanghai oder irgendeine andere Stadt der Welt sein kann. Alle Städte in China sehen heute ähnlich aus, es gibt kaum noch Unterschiede. Das empfinde ich als Widerspruch. Einerseits besuche ich gerne Diskotheken und Bars. Ich bin kein Gegner der Modernisierung. Andererseits wünsche ich mir dann, dass es anderen gelingen möge, unsere alten Traditionen zu schützen. Den Japanern ist das, glaube ich, ganz gut gelungen.

Ihr Berlinale-Film handelt vom Tierschutz in Tibet …

… und der Suche nach etwas Verlorenem. Das hat indirekt auch mit dem Schutz von Tradition, von etwas Wertvollem, das ohne die Suche verloren gehen würde, zu tun.

Die KP versucht den Traditions- und Werteverlust mit einem neuen Nationalstolz zu kompensieren.

Nicht die KP, sondern der Wirtschaftswachstum hat die Chinesen nationalistisch werden lassen. Das ist kein ideologischer Nationalismus, eher ein Stolz auf die Nation und das Erreichte. Früher hat man zum Beispiel Leute aus Hongkong oder Taiwan um ihren Lebensstandard beneidet. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Diese Art Stolz führt zu einem größeren Gleichwertigkeitsgefühl. Als Chinese genieße ich das, denn niemand will immer zu anderen aufschauen.

Ist das nicht gefährlich?

Ich glaube nicht, dass der Nationalismus in China zu dem führen kann, was einmal in Deutschland und Japan geschehen ist. China hat keine Tradition militärischer Aggression. Ideologie und Glaube haben in der chinesischen Geschichte nur sehr selten eine wichtige Rolle gespielt.

Warum wollen Sie dann Ihren nächsten Film unbedingt über das Massaker von Nanking, die Gräueltat japanischer Soldaten im Jahr 1937, machen?

Beide Völker, Japaner und Chinesen, brauchen Selbstkritik. Die Chinesen haben damals auf Widerstand verzichtet, haben das Schlimmste geduldet. Die Japaner wollen bis heute nicht ihre Schuld an dem Verbrechen akzeptieren. Für meinen Film aber gilt: Ich will die Chinesen nicht zum Hass gegen Japan aufstacheln, und ich will auch nicht für den chinesischen Nationalismus werben.

Da haben Sie sich bei dem Thema viel vorgenommen.

Mein Glaube ist die Filmkunst und ihre Kraft, Menschenseelen zu verändern.

INTERVIEW: GEORG BLUME