IN BERLIN KONTAMINIEREN HONORIGE DEMOKRATEN DEN 8. MAI
: Deutsche Dankesschuld

Sieht man von einigen Erhebungen wie dem Campus der Freien Universität ab, so stellt sich Zehlendorf in Berlins Südwesten als flaches Sumpfgelände dar, wo von Zeit zu Zeit giftige Gasblasen aufsteigen und die Berliner Luft verunreinigen. Von hier wehte in den 90er-Jahren der stinkende Slogan „Für ein christliches Preußen“ ins Stadtzentrum, hier verbreiteten Cliquen unterschiedlicher Couleur ihren deutschnationalen Pestgestank, und hier fasste auch die Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf jetzt den denkwürdigen Beschluss, wonach „der 8. Mai 1945 neben der Befreiung vom totalitaristischen (sic!) Naziregime auch für den Schrecken und das Leid der Bevölkerung, den die Rote Armee von Ostpreußen bis nach Berlin zu verantworten hat, steht“.

Steglitz-Zehlendorf ist keine sozial vernachlässigte Plattenbaugegend, wo der Rechtsradikalismus nistet, sondern umfasst gutbürgerliche Wohnbezirke. Womit wir beim Thema wären: Nicht stiernackige NPD-Abgeordnete mit Schaum vorm Mund haben diesen Antrag eingebracht, sondern honorige Volksvertreter. Aus der „Mitte“ kommend, mit dem „Konsens der Demokraten“ gegen rechts auf den Lippen. Ihnen geht es nicht um das Gedenken an die Menschen, die dem Vormarsch der sowjetischen Streitkräfte im letzten Kriegsjahr zum Opfer fielen. Ihr Ziel besteht darin, den 8. Mai 1945 als Tag der bedingungslosen Kapitulation Hitler-Deutschlands zu kontaminieren. Natürlich erlebten viele Deutsche diesen Tag nicht als „Befreiung“. Schließlich hieß das Datum jahrzehntelang „Zusammenbruch“. Tatsache ist, dass in der Geschichte der Bundesrepublik im Gefolge harter öffentlicher Auseinandersetzungen der 8. Mai schließlich als große Chance begriffen wurde, mit der deutschen Misere Schluss zu machen, einen neuen, demokratischen Anfang zu wagen.

Die Deutschen haben sich nicht selbst vom Nazismus befreit. Was wäre aus den Generationen nach 1945 geworden, wenn die Alliierten nicht auf der bedingungslosen Kapitulation bestanden hätten? Wir haben eine Dankesschuld. Hierfür steht der 8.Mai, für nichts anderes. CHRISTIAN SEMLER