„Eine ganz natürliche Ausdrucksform“

Der Regisseur Mark Dornford-May hat für seine Opernverfilmung „U-Carmen eKhayelitsha“ den Goldenen Bären gewonnen. Im Interview erklärt er, wie Afrikaner sich die eigentlich europäische Kunstform Oper aneignen

taz: Herr Dornford-May, wie waren Ihre ersten Eindrücke einer Township?

Dornford-May: Das war vor fünf Jahren, als ich nach Südafrika kam. Die Vorstellungen, die ich von den Townships hatte, waren vor allem Vorstellungen von Gewalt und Chaos. Insofern war ich sehr nervös, als ich das erste Mal dort hingereist bin, und sehr gespannt, was ich erleben würde. Ich war dann bei meinem ersten Besuchs einer Township tatsächlich sehr schockiert. Ich meine, ich bin Brite, arbeite als Theaterregisseur, mir geht es also einigermaßen gut. Zu sehen, unter welchen Bedingungen die Menschen dort leben müssen, war insofern sehr schockierend für mich. Andererseits wusste ich, dass die schlechte Lebenssituation nicht automatisch bedeuten würde, dass auch der Geist und die Moral der Menschen beeinträchtig wären.

Hat sich denn die Situation in den Townships in den vergangenen fünf Jahren verändert?

Ja, Townships sind heute ganz andere Orte, als sie es noch vor fünf Jahren gewesen sind. Zum einen ist die Stabilität größer geworden, zum anderen ist man auch Teil einer großen Stadt geworden. Townships wurden ja früher immer als separate Gebiete betrachtet. Wenn man über Kapstadt gesprochen hat, meinte man nur den weißen Teil der Stadt. Das ist heute anders, wenn die Leute über Kapstadt reden, dann beziehen sie heute auch eine Township wie Khayelitsha mit ein. Das war ja auch ein Ziel unseres Films, den Leuten zu sagen: Wenn ihr nach Südafrika kommt, dann schaut euch nicht nur bestimmte Teile des Landes an, sondern seht Südafrika als Ganzes. Die Township Khayelitsha haben wir in unserem Film auch wie eine eigene Figur behandelt, mit all ihren Eigenheiten. Eben weil alle Townships sehr unterschiedlich sind und man sie nicht einfach alle in einen Topf werfen kann.

Ein komplett schwarzes Ensemble stellt Bizets Oper in der eigenen, alltäglichen Umgebung dar und singt sie zudem in der eigenen Sprache der Xhosa. Für den europäischen Zuschauer ist das ein ungewohntes Bild – weil wir hier ein zu enges Verständnis von Oper haben.

Ja, ich denke schon, dass viele Besucher eine stereotype Sichtweise auf die Oper haben. In Europa wurde dieses Genre von einer Glitzergesellschaft entführt. Unser Ensemble hingegen sieht die Oper als eine ganz natürliche musikalische Ausdrucksform. Wissen Sie, es gibt in Südafrika um die 10.000 Chöre. Die würden alle einen traditionellen südafrikanischen Song und einen Chor aus einer italienischen Oper hintereinanderweg singen. Da gibt es keinen Sänger, der sagen würde, das eine Stück Musik ist besser als das andere, weil es vielleicht zu einer „höheren“ Kultur gehört.

Die Sänger stammen alle aus dem Ensemble „Dimpho Di Kopane“, das Sie im Jahr 2000 in Südafrika gegründet haben. Haben alle Ihrer Sänger eine Gesangsausbildung hinter sich und konnten sie Noten lesen, als sie in das Ensemble aufgenommen wurden?

Nein, es gibt auch im Film zwei Sänger, die nicht Noten lesen können. Aber diese Leute sind unglaublich musikalisch. Letztendlich ist die Notation ja auch nur eine Technik, ein Verfahren, Klang zu verschriftlichen, was aber nicht direkt etwas mit der Musik zu tun hat. Und um Klang hervorzubringen, ist es nicht unbedingt notwendig, dieses System zu verstehen.

Und die Hauptdarstellerin Pauline Malefane …

Viele haben mich gefragt, wie sie diese Rolle singen kann. Angeblich kann man diesen Tonumfang nicht singen, ohne richtig dafür ausgebildet zu sein. Pauline singt aber schon seit ihrem dritten oder vierten Lebensjahr. Sie hat keine herkömmliche Ausbildung gehabt, wie man sie in Europa oder Amerika am Konservatorium bekommt. Aber wie Sie gesehen haben, Pauline ist heute gerade mal 25 Jahre alt und sie ist imstande, die Rolle der Carmen zu singen.

Was, denken Sie, wird Ihr Film beim heutigen Opernpublikum bewirken?

Ich glaube, dass wir mit diesem Film das Verständnis von Oper schon ein bisschen erweitert haben. In der Art, wie wir den Opernstoff behandelt haben, wurde er noch in keinem Film behandelt. INTERVIEW: JAKOB BÜHRE