„Es ging einzig und allein um Auflösung“

Kriminalisierung der Bauwagenszene: 48 Besitzer von Wohn-Lkw werden aufgrund einer Demo wegen Nötigung vor Gericht gezogen. In den Verfahren stehen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und das polizeiliche Handeln auf dem Prüfstand

VON KAI VON APPEN

Es sollte eine große politische Manifestation werden, weil weiterhin bundesweit – und gerade in Hamburg – das Leben auf vier Rädern bedroht ist. Und darum machten sich Nutzer- und HalterInnen von Wohn-Lkws aus der ganzen Republik auf den Weg nach Hamburg, um am 24. April 2004 ein Zeichen zu setzen. Unter dem Motto „Einmal im Leben pünktlich sein ...“ fuhren in den frühen Morgenstunden 99 Wohngefährte vor den ehemals besetzten Häusern an der Hafenstraße auf. Doch statt bei einem Straßenfest Kultur, Speisen und Getränke sowie politische Informationen über ihre Wohnform präsentieren zu können, wurden die „Bauis“ mit der Staatsmacht konfrontiert.

48 Personen, die damals in Gewahrsam genommen wurden und von denen die politische Justiz glaubt, sie als FahrerInnen oder HalterInnen einem Fahrzeug zuordnen zu können, wird nun in aufwendigen Einzelverfahren wegen „Nötigung“ der Prozess gemacht. Dabei gehen die 48 VerteidigerInnen davon aus, dass vielmehr die Polizeiführer Kuno Lehmann und Thomas Mülder auf die Anklagebank gehören. Strafrechtler Andreas Beuth hat deswegen stellvertretend Strafanzeige gegen beide und „andere Mittäter“ wegen Sachbeschädigung der Wohn-Lkws gestellt, die Verwaltungsrechtlerin Cornelia Ganten-Lange hat Feststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht eingereicht. „Die Auflösung der Versammlung war nämlich rechtswidrig“, sagt Ganten-Lange.

Sie beruft sich dabei auf das Bundesverfassungsgericht. Das hat befunden, dass allein ein Verstoß gegen die Anmeldepflicht eine Demo-Auflösung wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht rechtfertigt.

Die Auflösung war jedoch damit begründet worden, dass der Verkehr behindert werde. „Es ist eine vom Grundgesetz geschützte politische Versammlung gewesen“, so Beuth zur taz, die alle Kriterien erfüllt habe: Es wurden Transparente mitgeführt, Flugblätter verteilt und Reden über Megaphone gehalten. „Dass eine Versammlung den Verkehr beeinträchtigt, liegt in der Natur der Sache“, sagt Beuth und verweist auf die Rechtsprechung. Solange das „Hauptziel der Akteure nicht die Beeinträchtigung des Straßenverkehrs“ sei, handele es sich nicht um Nötigung; Behinderungen seien hinzunehmen. „Die Polizei“, sagt Beuth, „war anfangs selbst davon ausgegangen, dass es sich um eine Versammlung handelt.“ Überdies hatte sich mit dem ehemaligen Regenbogen-Bürgerschaftsabgeordneten Norbert Hackbusch in der von Einsatzleiter Mülder gesetzten Frist ein Versammlungsleiter gefunden.

Doch die Polizeiführung ließ sich auf keinerlei Verhandlungen über die Dauer und Gestaltung der Veranstaltung ein. „Es ging einzig und allein immer nur um die Auflösung“, sagt Beuth. Selbst den von Hackbusch als Alternative unterbreiteten Vorschlag, das Fest an einen anderen „von der Polizei zu bestimmenden Ort“ zu verlegen – es waren der England-Fähranleger und das Heiligengeistfeld im Gespräch – lehnte Mülder ab. Er bestand, offensichtlich auf Weisung von Gesamteinsatzleiter Lehmann, auf der Auflösung der Veranstaltung und dem Abzug der Gefährte – allerdings nicht ohne Personalienfeststellung der FahrerInnen und Durchsuchung der Wohnbereiche.

Als dies wiederum die TeilnehmerInnen ablehnten, ließ Mülder mit Schlagstöcken und Pfefferspray die Bauis abdrängen, einkesseln und in Gewahrsam nehmen. Noch vor Eintreffen der ersten Abschleppwagen ordnete er an, bei verschlossenen Wohnmobilen die Scheiben einzuschlagen oder diese anderweitig aufzubrechen, Lenkradschlösser zu knacken, die Wagen kurzzuschließen und wegzufahren. „Zum Teil erhebliche Sachschäden bis 1.900 Euro“, beklagt eine Halterin.

Begleitet von einer Kundgebung vor dem Strafjustizgebäude am Sievekingplatz (12 Uhr) beginnen morgen Mittag die ersten drei der 48 Prozesse. Nur drei der angeklagten Bauis kommen aus Hamburg.