Es gibt Appetitlicheres als Öko-Supermärkte, meint Hans-Ulrich Grimm

Heute beginnt die „BioFach“ in Nürnberg. Aus diesem Anlass ein Plädoyer für kleinteilige Strukturen

taz: Der Umsatz von Bioware stieg im letzten Jahr um 10 Prozent. Das klingt gut, doch es verschleiert die Realität. Nur 4 Prozent des Ackers sind bio. Scheitern die Ökos?

Hans-Ulrich Grimm: Überhaupt nicht. Sie sind ja im Aufschwung, und sie produzieren Essen, das gut schmeckt. Darauf kommt es nicht nur für Feinschmecker an.

Für die Agrar- und Verbraucherschutzministerin Renate Künast zählt aber anderes. Von ihrem Ziel, in fünf Jahren 20 Prozent Acker ökologisch zu bewirtschaften, ist Deutschland weit entfernt. Sollte sie eingestehen, dass es zu utopisch ist?

Möglicherweise hat sie sich zu ehrgeizige Ziele gesetzt. Das ist aber nicht schlecht. Nur so konnte sie das mediale Remmidemmi erzeugen. Und nur so konnte sie die Ökokampagne starten und die Agrarwende anpacken. Sie hat eine Menge erreicht.

Die Zahlen sprechen aber dagegen. Sind daran dann die Ökos selbst schuld?

Man sollte nicht auf den Ökos rumhacken. Das eigentliche Problem ist doch, dass die Deutschen das Zeug nicht kaufen. Zwei Drittel der Bundesbürger interessieren sich immer noch mehr für billige Preise als für die Qualität.

Viele können sich die teure Naturkost nicht leisten. Wird so eine Zwei-Klassen-Essen-Gesellschaft gefördert?

Die Ökos bemühen sich, gutes Essen zu machen. Da kann man ihnen doch nicht vorwerfen, dass es Arme gibt, die sich das nicht kaufen können. Außerdem sind in Deutschland längst nicht alle arm. Viele fahren ja mit dem Mercedes-Geländewagen zu Lidl.

Jetzt soll es „Bio“ für alle geben. Mit Rewe steigt ein milliardenschwerer Konzern in die Nische ein. Ist dies der Ausbau oder eher der Ausverkauf der Ökoidee?

Der Supermarkt ist per se antiökologisch: Zum einen produziert er Staus, weil Laster die Produkte quer durch Europa transportieren. Supermärkte wollen auch, dass Produkte praktisch ewig halten. Ein Fruchtjoghurt ein paar Wochen, Fertiggerichte ein Jahr. Das fördert den Einsatz von Konservierungsstoffen, Chemie. Das Prinzip Supermarkt ist naturwidrig.

Aber es geht doch um Biosupermärkte. Ihnen ist in jedem Fall der kleine Ökoladen, der nur von einer Hand voll Kunden besucht wird, lieber?

Oder der Bauernmarkt, wo ich Sellerie und Möhren kaufe. Ich finde das einfach appetitlicher als in so einem Neon-Supermarkt. Ich möchte auch gefragt werden: „Darf es noch etwas sein?“ Oder hören: „Wir hätten ganz prima Mangos da heute.“

Wäre es nicht viel besser, wenn es in jedem Supermarkt beides gibt: konventionell und öko?

Natürlich wäre das gut. Es sollte einfach verschiedene Qualitäten geben, billige Quälhühner für Hartherzige, edle Luxushühner für Lebensfreudige. Doch Supermärkte haben keinen Sinn für Qualität. Supermärkte können nur billig – und in Massen.

Gegen Bio in Massen spricht doch nichts. Was ist an einer Tonne Ökoweizen besser als an 1.000?

Massenproduktion und Ökologie schließen sich nun mal aus. So ist es zum Beispiel sehr unerfreulich, dass Hipp, der größte Ökoerzeuger Europas, die Karotten für seine Babygläschen aus Spanien herkarrt. Doch der kann nichts dafür, der braucht davon einfach zu viel, als dass der bayerische Bauer aus der Region den Bedarf decken könnte. Die sind einfach zu groß geworden.

Das ist doch ein guter Anreiz für deutsche Landwirte, mehr Ökomöhren anzubauen.

Wenn sie das billig genug und in großen Massen können … Und das können vielleicht die Gutsherren im Osten, aber nicht ein Gärtner in Oberbayern.

Warum ist das Vertrauen in die herkömmliche Landwirtschaft so unerschütterlich?

Weil die Illusionsmaschine der Agrarier prima läuft. Etwa über die CMA, die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft. Sie verhindert, dass jenseits der Werbewelt mit glücklichen Schweinen die Wahrheit gesagt wird. Die Menschen werden ganz gezielt getäuscht über das wahre Wesen der Nahrungsproduktion. Und zugeschüttet mit Werbung in den privaten Fernsehprogrammen. Sie essen die Chemietomate und irgendwelche Hüttensnacks ja nicht freiwillig.

Wissen Sie noch, wann der große Dioxin-Skandal in Belgien ausbrach – Hühner und Eier vergiftet waren?

1997.

1999. Der Mensch ist vergesslich, wenn es ums Essen geht. Was sollte er wissen?

Er soll einfach gutes Essen bekommen. Es gibt ja derzeit die Deklarations-Mode. Alles soll aufs Etikett. Ich bin aber dagegen, das Leute quasi vor dem Essen Ernährungsforschung betreiben müssen. Man muss auch Sachen wieder beherzt verbieten. Etwa, dass ein kleines Kind von acht Monaten einen Hipp-Früchtetee bekommt, in dem so gut wie keine Früchte drin sind, stattdessen bloß Aroma.

Warum ist uns das Essen so fremd geworden?

Wir sind eine Autonation mit einem Autokanzler. Aber ganz so schlimm ist es ja auch nicht: Auch in Deutschland gibt es eine Esskultur, allerdings mit einem gewissen Süd-Nord-Gefälle. Je näher man dem Wein kommt, umso besser ist das Essen.

INTERVIEW: HANNA GERSMANN