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: „Damen und Herren ab 65“ von Lilo Mangelsdorff – Tanzschüler im Rentenalter

Das moderne Tanztheater mag ja mit allen Konventionen des klassischen Ballets aufgeräumt haben, nur eines hat sich kaum geändert: Die Tänzerinnen und Tänzer sind jung, schön und grazil. Eine Karriere in diesem Metier ist zeitlich ähnlich begrenzt wie die von SportlerInnen, denn das Publikum will virtuose Bewegungen von makellosen Körpern sehen. Pia Bausch, die große Visionärin des Tanztheaters hat schließlich auch diese Regel gebrochen, als sie ihr 1978 uraufgeführtes Tanzstück „Kontakthof“ zwanzig Jahre später mit alten Menschen neu inszenierte. „Damen und Herren ab 65 gesucht...“ stand in ihrer Kleinanzeige in einer Wuppertaler Lokalzeitung. Auf diese antworteten mehr als 150 Bewerber, aus denen Pia Bausch 25 auswählte, wobei es ihr mehr um die Ausstrahlung und Persönlichkeit der Darsteller ging als um deren tänzerische Fähigkeiten.

Die Proben dieser Laien im Alter zwischen 60 und 80 Jahren, die sich langsam in ein professionelles Tanzensemble entwickelten, hat die Frankfurter Dokumentarfilmerin Lilo Mangelsdorff ein Jahr lang mit der Kamera begleitet.

Und hierbei hat sie sich selber so zurückgenommen, dass man kaum den Gestaltungswillen der Filmemacherin bemerkt. Dabei wären zumindest ein paar Namenseinblendungen durchaus hilfreich gewesen, denn so bleiben bis zum Abspann nicht nur die Akteure, sondern auch ihre Probenleiter anonym, und so mancher Zuschauer mag, wie der Rezensent, rätseln, ob eine von den beiden Instruktorinnen den nun Frau Bausch persönlich sei.

Diese gehen die Senioren bei den Proben durchaus hart an und kritisieren sie, ohne dabei ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Und daran hatten gerade die Herren, die in ihrem Beruf erfolgreiche Selbstständige oder leitende Angestellte waren, ziemlich zu knabbern.

Dies sagen sie auch selber in Interviewsequenzen direkt in die Kamera, denn der Film konzentriert sich ganz auf sie und ihre Arbeit. Es fehlt zum Beispiel jeder Vergleich mit der früheren Inszenierung des Stückes, es gibt auch keine Aussagen der Theatermacher über ihre Intentionen und Schwierigkeiten bei der Erarbeitung der Inszenierung. Der Film bleibt immer nah an den Akteuren, und kommt ihnen dabei sehr nah, indem die Kamera oft einfach in langen, ungeschnittenen Einstellungen der Probenarbeit folgt.

Für ihre Arbeit an diesem Film wurde die Kamerafrau Sophie Maintigneux mit dem „Deutschen Kamerapreis 200“ ausgezeichnet. Und tatsächlich ist es beeindruckend, wie präzise sie bei den Proben jeweils die Balance zwischen Nähe und Distanz zu den Tanzenden findet, sodass man wunderbar deren Tanzschritten, Bewegungen, Posen, Fehlern und Unsicherheiten folgen kann.

Denn die Art, wie diese Menschen sich noch einmal so spät in ihrem Leben einer Herausforderung stellen, wie sie als Anfänger noch einmal in einem Metier ganz von vorne anfangen müssen, wie sie sich dabei entwickeln, stärker und schließlich dann auch professionell werden, das sind die wirklich spannenden Geschichten des Films.

Sie lernen, wie man „beim neutralen Gehen Gefühle reinbringen kann“, wie man auf der Bühne zur Verführerin wird und dabei kokett mit dem Hintern wackelt. Und während sie sich zuerst darüber amüsieren, dass sich die Profitänzer bei jeder Probe abküssen, haben sie dieses Ritual schon bald selber mit Begeisterung übernommen. In die Kamera erzählen sie von ihren Schwierigkeiten mit dem Stück, so etwa davon, dass die Tochter ihre Mutter in der tobenden Furie dort oben auf der Bühne nicht mehr wiedererkannte.

Chris Marker hat in seinem Filmessay „Sans Soleil“ behauptet, dass es fast unmöglich ist, das Glück auf Film zu bannen. Er hat es nur ansatzweise in einer ganz kurzen, unscharfen Einstellung von auf einer Straße spielenden Kindern entdeckt. Wenn in „Damen und Herren ab 65“ nach den langen Proben ein Bewegungsablauf so sitzt, dass er wie schwebend leicht getanzt wird, wenn das Ensemble sich am Ende des Films auf der Bühne zum allerersten Mal bei stürmischem Beifall verbeugt, wenn eine Dame mit leuchtenden Augen von den geplanten Auftritten in Berlin, Paris und London erzählt, dann sind dies Augenblicke des Glücks. Und weil wir 70 Minuten lang miterlebt haben, wie schwer sie erarbeitet wurden, können wir sie nun um so intensiver mitempfinden. Wilfried Hippen

„Damen und Herren ab 65“ läuft Do & Di um 20.30, sowie Fr - So um 18.00 im Kino 46