Genossen unter Strom

VON STEPHAN KOSCH

Die Ausgangslage

Die Energiebranche soll sich verändern. Der Kunde soll Strom und Wärme nicht mehr nur bei regionalen Monopolisten bestellen können, sondern europaweit. Deshalb will die EU-Kommission einen möglichst freien Markt, der auch Ökostromproduzenten oder Energiehändlern aus dem Ausland Chancen einräumt. Mehr Markt soll die Preise senken. Das spezielle Problem in der Energiebranche: Die Netze, durch die die neuen Anbieter den Strom und das Gas zu den Kunden schicken, gehören den ehemals staatlichen Monopolisten. Sie berechnen viel Geld für die Durchleitung – beim Strom macht das bis zu 40 Prozent des Preises aus.

Zu viel, lautet der Vorwurf von Verbraucherschützern und Großkunden aus der Industrie. Zudem sei die Berechnung der Preise nicht transparent. 1997 verabschiedete die EU-Kommission deshalb eine Richtlinie, die für freieren Handel sorgen sollte. Viele Staaten richteten daraufhin eine unabhängige Regulierungsbehörde ein, um die Preise zu kontrollieren. In Deutschland jedoch hat sich die Energiewirtschaft lange gegen so eine Behörde gewehrt. Stattdessen handelte sie eine „Verbändevereinbarung“ aus. Doch der deutsche Sonderweg scheiterte. Was beim Strom noch halbwegs hinhaute, ging in der Gasbranche schief: Die Verbände einigten sich nicht. Zudem erhöhte die EU den Druck auf die Bundesregierung.

In dieser Woche nun soll endlich auch die gesetzliche Grundlage für einen deutschen Regulierer stehen. Die auch für die Telekommunikationsbranche zuständige Behörde wird dann die Versorger ins Visier nehmen. Das neue Energiewirtschaftsgesetz wird am Mittwoch in der Koalition abschließend beraten, es soll noch in diesem Monat durch den Bundestag. Allerdings: Der Bundesrat muss noch zustimmen.

Die Branche

Gerne verweist die deutsche Energiewirtschaft darauf, dass in Deutschland rund 1.100 Versorger aktiv sind und das Prozedere daher sehr kompliziert ist. Entscheidend sind aber die „Vier Großen“. RWE, Eon, Vattenfall und EnBW halten zusammen 80 Prozent des deutschen Strommarktes. Die Formierung dieser Marktmacht mit einem Gesamtumsatz von über 100 Milliarden Euro pro Jahr – davon über 90 Milliarden bei Eon und RWE – war stets auch im Sinne der Bundesregierung: Aus zehn Unternehmen wurden durch Firmenübernahmen und Fusionen die vier Großen. Ziel war die Bildung von nationalen Champions, die in einem liberalisierten europäischen Energiemarkt erfolgreich und selbst in Übersee aktiv sind. Diese Champions verfügen über beste Kontakte ins Bundeswirtschaftsministerium.

Das Ministerium

Das gilt als traditionell konzernfreundlich, nicht erst seit dem früheren Bundeswirtschaftsminister Werner Müller. Der war vor seinem Ministeramt Vorstand bei der später in Eon aufgegangenen Veba und ist mittlerweile Vorstandschef der Ruhrkohle AG, an der Eon und RWE die größten Anteile halten. Doch nicht nur Müller, der während seiner Zeit auch eine Pension von Eon bezog, verkörpert die Nähe zwischen Ministerium und den Energiekonzernen. Müllers Staatssekretär Alfred Tacke ist nun Chef der Ruhrkohle-Tochter Steag. Der jetzige Staatssekretär Georg Adamowitsch war Ende der Neunzigerjahre Beauftragter für Bundes- und Europaangelegenheiten beim später mit RWE fusionierten Versorger VEW.

Und nicht nur an der Spitze gibt es einen regen Austausch zwischen Wirtschaft und Politik. Kein Entwurf gehe aus dem Ministerium an andere Verbände und politische Gruppen zur Beratung, der nicht vorher bei Eon und RWE gegengecheckt und kommentiert wurde, ärgern sich Lobbyisten anderer Gruppen in Berlin.

Der erste Entwurf

Kein Wunder also, dass der erste Gesetzentwurf aus dem Ministerium lediglich eine Minimalvariante der Richtlinie aus Brüssel war. Er sah unter anderem vor, dass der Regulierer nur im Nachhinein, also ex post, die Kalkulation der Versorger in Frage stellen kann. Außerdem tauchte die „Anreizregulierung“ noch nicht auf. Dahinter verbirgt sich die Idee, dass nicht nur die Kosten der Netzbetreiber Grundlage sein sollen. Sie sollen auch für sinkende Preise belohnt werden, indem sie diese nicht sofort an die Kunden weitergeben müssen, sondern zunächst als Gewinn verbuchen können – höchstens fünf Jahre lang. Langfristig erhofft man sich so sinkende Preise und mehr Effizienz in den Netzen.

Der Konter

Daran, dass die Anreizregulierung nun doch im Gesetz steht, hat überraschenderweise auch ein Energiekonzern mitgewirkt. EnBW setzte sich für Anreiz- und Ex-ante-Regulierung wie bei der Telekom ein. Danach müssen die Preise vor dem In-Kraft-Treten genehmigt werden. EnBW ist der kleinste der großen vier mit entsprechend weniger weitläufigem Netz. Gleichzeitig ist EnBW aber über die Tochter Yello ein bedeutender Stromhändler, der zur Belieferung seiner Kunden die Netze der Konkurrenten braucht. Logisch, dass das Unternehmen an geringen Netzdurchleitungsgebühren interessiert ist. Tatsächlich hatte die Lobbyarbeit von EnBW Erfolg, denn auch der Bundesrat forderte in seiner ersten Reaktion auf den Gesetzentwurf aus dem Ministerium Änderungen in diesen beide Punkten.

Die Hintertür

Das Bundeswirtschaftsministerium reagierte und änderte das Gesetzeswerk entsprechend. Dabei baute es aber eine Hintertür ein. Der aktuelle Entwurf, der der taz vorliegt, sieht nämlich vor, dass der Regulierer zwar Obergrenzen für die Preiskalkulation festlegen darf. Die Entscheidung aber „bedarf der vorherigen Zustimmung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit“. Im Klartext: Der neue Schiedsrichter muss sich die Preisfestlegung vom konzernfreundlichen Ministerium genehmigen lassen.

Der Rendite-Passus

Einig sind sich die großen Konzerne hingegen bei einem anderen Vorhaben: Sie wollen die Körperschaftsteuer, die sie bezahlen müssen, den Kunden in Rechnung stellen. Das wäre so, als ob ein Handwerker die Steuern, die er über die Mehrwertsteuer hinaus an das Finanzamt zahlen muss, mit auf die Rechnung schreibt. Was bei ihm undenkbar wäre, brächte den Netzbetreibern ein bis zwei Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich.

Dieses Anliegen wurde bei einem „Energiegipfel“ der vier Vorstandsvorsitzenden bei Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) im November vorgetragen – auch unter Hinweis auf die zu tätigenden Investitionen ins Stromnetz in Höhe von mehr als neun Milliarden Euro. Dabei ließen die Konzerne ihre Muskeln spielen und drohten damit, dass die Investitionen bei mangelnder Rendite auch ausbleiben könnten – Stromausfälle wären die Folge. „Zwei Drittel des heutigen Investitionsvolumens sind (…) disponibel und vom Rentabilitätsgrad abhängig, den das zukünftige Regulierungsregime zulässt“, heißt es in einem drei Tage nach dem Treffen entstanden gemeinsamen Papier, das „die Forderungen, die die Vorstandsvorsitzenden (…) mit Wirtschaftsminister Clement besprochen haben, konkretisiert“.

Die neue Koalition

Um dem zu erwartenden Widerstand vor allem aus der Industrie zu begegnen, vereinbarten Clement und die Konzerne bei demselben Treffen einen Kostenrabatt für die energieintensiven Betriebe von fünfzig Prozent. Damit die Einnahmen der Versorger aber deshalb nicht sinken, soll der Nachlass über eine Umlage von allen Verbrauchern gegenfinanziert werden.

Die Rechnung ging aber nicht auf, weil sie nur für eine begrenzte Zahl von Betrieben mit besonders hohem Stromverbrauch Vorteile gebracht hätte. So gingen die industriellen Großverbraucher über ihren Verband VIK in seltener Einigkeit gemeinsam mit Umweltschützern und Verbraucherverbänden mit dem Vorhaben in die Medien, um den öffentlichen Druck auf die Verhandlungen zu erhöhen. Denn auch innerhalb der SPD ist die geplante Regelung umstritten. In dieser Woche wird sich zeigen, ob das Spiel mit der Öffentlichkeit Erfolg hatte.