„Gewalt im Namen der Ehre gibt es nicht“

1.000 Menschen demonstrierten am Samstag gegen Gewalt an Frauen. Anlass war der Mord an der 23-jährigen Hatun Sürücü. Die meisten Teilnehmer waren weiblich und weiß. Der MigrantInnenanteil war gering, Männer fehlten

Für viele war es wie ein Klassentreffen. Ehemalige GefährtInnen der Berliner Frauenbewegung, die sich zum Teil jahrelang nicht mehr gesehen haben, trafen sich am Samstag wieder. Entsprechend kämpferisch war die Stimmung. Während aus dem Lautsprecherwagen Ina Deters „Neue Männer braucht das Land“ dröhnte, schlossen sich am Kottbusser Damm immer mehr Demonstrantinnen dem Zug an und skandierten: „Frauen-Power, das auf Dauer – Schluss mit Gewalt“. „Wie in alten Zeiten“, sagte die 38-jährige Tina, die seit Jahren das erste Mal wieder eine Demonstration miterlebte, die sich explizit gegen Gewalt an Frauen wendet.

Etwa 1.000 Teilnehmer zählte der Protestzug am Samstagnachmittag. Er begann am Rathaus Neukölln und führte über den Hermannplatz quer durch Neukölln und Kreuzberg. Die Route war von den Veranstaltern bewusst gewählt. Auch wenn der Mord an der Berliner Deutschtürkin Hatun Sürücü vor einem Monat in Tempelhof verübt wurde, wollten die 26 aufrufenden Organisationen, darunter Terre des Femmes, die Heinrich-Böll-Stiftung, Parteien und Ver.di, in den beiden Stadtteilen mit dem höchsten MigrantInnenanteil vor allem zwei Botschaften vermitteln: Es gibt keine Ehre, die einen Mord rechtfertigt. Und: Gewalt an Frauen ist keineswegs nur ein Problem von Muslimen. Die 23-jährige Hatun Sürücü war am 7. Februar auf offener Straße erschossen worden, vermutlich von einem ihrer Brüder, vermutlich, weil sie sich dem islamischen Lebensstil entzogen hatte.

„Es vergeht kaum ein Tag, an dem in Berlin keine Frauengewalt verübt wird“, sagte eine Rednerin von Wildwasser, einem Verein, der sich gegen sexuellen Missbrauch und Gewalt richtet – unabhängig vom religiösen oder kulturellen Hintergrund. Die türkischstämmige Layla bedauerte dennoch, dass so wenige ihrer Landsleute bei der Demo teilnehmen. „Meine Familie hat der Mord an Hatun schon geschockt“, erzählte die 22-Jährige. Und sie wüsste auch von anderen, die den Mord „abscheulich“ finden. Sie kann es sich nicht erklären, warum viele nicht gekommen sind.

„Es gibt keinen Zwang im Glauben“, sagte eine kopftuchtragende Demonstrantin. Daher gebe es auch keine Unterdrückung von Frauen im Namen der Ehre. Sie ist erst vor einigen Jahren zum Islam konvertiert. „Man darf niemanden zwingen, in seinem Glauben etwas zu akzeptieren, was er von seinem Herzen nicht auch selbst trägt.“ Ein erzwungener Glaube werde schnell zum Fanatismus.

Der Demo-Aufruf wendete sich ausdrücklich auch an Männer. Dabei war zwar Berlins Frauensenator Harald Wolf (PDS), der Männeranteil blieb mit einem knappen Drittel aber vergleichsweise gering. Der 16-jährige Assimit war nur zufällig in der Karl-Marx-Straße unterwegs, schloss sich dann aber spontan der Demo an. „Nicht alle Türken sind so wie die Mörder von Hatun“, betonte er. Immerhin: Ein älterer Herr verkaufte so genannte Weiße Schleifen – Anstecker der Kampagne „Männer gegen Männergewalt“. Sein Absatz war aber nicht besonders groß. „Es ist einfach mal wieder Zeit für eine neue Frauenbewegung“, kommentierte Tina das Geschehen. Dann kommen vielleicht auch wieder mehr Männer. FELIX LEE