Wie ein Fisch auf dem Trockenen

Die IRA, bewaffneter Arm der Sinn Féin, sorgt mit immer neuen Skandalen für die Marginalisierung der eigenen Leute. Auf einen gigantischen Bankraub, dessen Beute bei IRA-Sympathisanten auftaucht, folgte ein Mord an einem treuen Anhänger

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Es war ein glänzender Schachzug. Gerry Adams, Präsident von Sinn Féin („Wir selbst“), dem politischen Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), hatte die fünf Schwestern von Robert McCartney auf seinen Parteitag eingeladen, der am Sonntag in Dublin zu Ende ging. Mitglieder beider Organisationen hatten den 33-jährigen McCartney, der sein Leben lang Sinn Féin gewählt hatte, am 30. Januar in Magennis’s Bar in der nordirischen Hauptstadt Belfast vom Hals bis zum Bauchnabel aufgeschlitzt, weil er eine abfällige Handbewegung gegenüber der Frau eines IRA-Mannes gemacht haben soll.

Nach dem Mord schlossen die Täter die Kneipe ab, säuberten den Tatort und demontierten die Überwachungskameras. Zum Schluss schickten sie die rund 70 Gäste nach Hause und mahnten sie: „Ihr habt nichts gesehen.“ Keiner von ihnen hat bisher ausgesagt. Die meisten behaupten, sie waren zur Tatzeit auf der winzigen Toilette.

Der Mord sorgte auch in den eigenen Reihen für Empörung. In der kleinen katholischen Enklave Short Strand in der Nähe des Belfaster Hafens demonstrierten tausend Menschen gegen die Vertuschung des Mordes durch die IRA. So etwas hat es in der 35-jährigen Geschichte des nordirischen Konflikts noch nicht gegeben – schon gar nicht in Short Strand. Das Viertel, in dem 3.000 Katholiken durch hohe Mauern von den umliegenden protestantischen Vierteln geschützt sind, ist eine IRA-Hochburg.

Ein Demonstrant sagte, es sei besonders abscheulich, dass der Mord ausgerechnet am Jahrestag des „Blutsonntags“ von 1972 geschehen sei, an dem britische Fallschirmjäger 14 unbewaffnete Demonstranten erschossen hatten. „Die IRA ist auch nicht besser als die Fallschirmjäger, wenn sie die Mörder nicht aushändigt“, sagte er und hielt ein Plakat hoch, auf dem stand: „Das Böse wird siegen, wenn anständige Menschen nichts unternehmen“.

Auf dem Sinn-Féin-Parteitag feierten die 2.000 Delegierten die Schwestern des Mordopfers nun mit stehenden Ovationen. In seiner Parteitagsrede sagte Gerry Adams: „Robert McCartneys Schwestern sind hier, weil ich sie eingeladen habe, denn ich will ihnen zeigen, dass wir alle auf ihrer Seite sind. Diejenigen, die für den brutalen Mord an Robert McCartney verantwortlich sind, sollen das vor Gericht zugeben. Ich werde nicht ruhen, bis diese Leute, die unsere Sache beschmutzt haben, zur Rechenschaft gezogen werden.“

Es ist nicht der erste Skandal, der Sinn Féin unter Druck setzt. Der Bankraub vom 21. Dezember, als 26,5 Millionen Pfund aus einer Bank in Belfast gestohlen wurden, sorgte bereits für den Ausschluss der Partei aus dem politischen Prozess zur Wiederbelebung des nordirischen Friedensprozesses. Die Regierungen in London und Dublin legten die Verhandlungen auf Eis, weil sie aufgrund der generalstabsmäßigen Ausführung des Raubs davon überzeugt sind, dass nur die IRA für die Täterschaft in Frage komme. Ein geringer Teil des Geldes ist außerdem seitdem in Südirland bei Leuten aus dem IRA-Umfeld sichergestellt worden. Gegen einen ehemaligen Sinn-Féin-Vizepräsidenten, der es bis zum Direktor der Bank of Scotland gebracht hat, wird wegen Geldwäsche in Bulgarien und der Türkei ermittelt.

Hier reagierte Gerry Adams anders. Sinn Féin habe nichts mit dem Bankraub zu tun, die Partei sei nicht in kriminelle Aktivitäten verwickelt, sagte er. Die Feinde Sinn Féins wollten den Bankraub und auch den Mord an McCartney ausnutzen, um der Partei zu schaden. Der Mord an McCartney sei Folge eines Kneipenstreits von Betrunkenen.

Es war ein Versuch der Schadensbegrenzung. Bereits am Donnerstag hatte Adams sieben Mitglieder aus Sinn Féin ausgeschlossen, weil sie vermutlich an dem McCartney-Mord beteiligt waren. Adams sagte, er habe McCartneys Familie um die Namen derjenigen gebeten, die sie für die Täter halten. „Sieben davon gehörten Sinn Féin an“, sagte Adams. „Der Parteiausschluss ist aber keine Vorverurteilung.“ Die IRA hatte bereits vorige Woche drei Mitglieder ausgeschlossen und angekündigt, sie vor ein „Militärgericht“ zu stellen, um ihre Tatbeteiligung festzustellen.

Unter dem Bankraub litten die Wahlchancen von Sinn Féin kaum. Doch nach dem Mord an McCartney sank die Unterstützung der Partei in der Republik Irland von elf auf neun Prozent.