„Absolut auf der Gegenseite“

Ein Gespräch zwischen Thomas Meinecke, Klaus Walter und Frank Witzel über Joschka Fischer und die Grünen, den Luxus und die Notwendigkeit theoretischen Denkens sowie die Verschlimmbesserung der Verhältnisse durch schwule Bürgermeister

Thomas Meinecke: Du hattest doch da mal so eine These, Klaus, dass sich sogar das Sperma mit der Regierung verbunden hätte, oder so. Was war das eigentlich? Ich hab das leider nie gelesen. Man hört nur immer davon.

Klaus Walter: Das war in der taz.

Meinecke: Was war denn die These? Dass man die kennt, die jetzt regieren?

Walter: Dass man mit denselben Frauen gefickt hat, im Grunde.

Meinecke: Im Grunde.

Walter: Wollen wir jetzt am Ende mit sowas …

Meinecke: Das Politische und das Private zusammendenken.

Walter: Dieser Text war eine Antwort auf Sibylle Tönnies, die damals schrieb, das war kurz nach dem Wahlsieg von Rot-Grün, einen ganz euphorischen, im Wir gehaltenen Kommentar: „Wir in der ,Tagesschau‘ “, so ungefähr. „Wie toll, wir sind in der Gesellschaft angekommen.“ Der Text troff vor diesem „Wir sind endlich wer“. Mein Text war eine Antwort darauf. Woraus konstituiert sich dieses Wir? Der ist nur so in Erinnerung geblieben, weil da das mit dem Sperma vorkam, mit den Körperflüssigkeiten.

Meinecke: Was war denn dann dein Einwand? Wenn du sagst: Wir schliefen mit denselben …

Walter: Daraus resultiert aber nichts. Das Wir, das sie konstruiert hat, ist ein aus der Vergangenheit Kommendes und ein sich nur in der Vergangenheit Realisierendes. Es bedeutet, dass Joschka Fischer nicht mehr mein Freund ist.

Meinecke: War er es mal?

Walter: Nein. Es war ganz banal so, dass es eine Frauenwohngemeinschaft gab, wo er mit der einen Frau zusammen war, mit der er auch zwei Kinder hat, und ich mit einer anderen Frau. Und, es war ja eine promiske Zeit, da gab es Überschneidungen in Sex-Partnerinnen. Und ich hab mit ihm Fußball gespielt.

Frank Witzel: Wenn ihr euch sehen würdet, wie wäre das?

Walter: Wenn ich Daniel Cohn-Bendit sehe, der Mitredakteur vom Pflasterstrand war, dann ist das so ein Hallo, aber das ist ein anderer Charakter. Mit Fischer hatte ich nie …

Witzel: Aber Fischer und Cohn-Bendit sind ja schon eine andere Generation. Wer ist denn eigentlich von unserem Jahrgang dort angekommen?

Walter: Tja – Pfff – Mohr –

Witzel: Mohr, ja.

Walter: Mohr ist journalistisch ein derartiger Arschkriecher von Fischer und von diesen Frankfurter arrivierten Grünen, dass er in jedem Text dieses Zivilgesellschaftsargument bringen muss: „Wir haben Deutschland zivilisiert“, was Jan Feddersen in der taz vertritt, praktisch: „Wir haben erreicht, dass es einen schwulen Bürgermeister in Hamburg und Berlin gibt, wir haben dies und jenes erreicht.“ Unter völliger Ausblendung von dem, was ökonomisch passiert.

Witzel: Aber kann man da nicht schon einen wesentlichen Teil festmachen? Dass sich die konkret politische Rangehensweise, die sich dann auch rühmt, etwas geschafft zu haben, eigentlich aus dem tatsächlich interessanteren Diskurs verabschiedet hat, sei es Pop, sei es Queer, sei es der Gender-Diskurs, der ihnen ja sagen würde, dass es nichts nützt, einen schwulen Bürgermeister zu haben.

Walter: Versteh ich nicht.

Witzel: Ich wage es anzuzweifeln, dass es wichtig ist, einen schwulen Bürgermeister zu haben. Wenn ich etwas faszinierend an den Gender und Queer Studies finde, dann ist es das, immer genauer herauszuarbeiten, dass jeglicher Versuch, sich in dieser Gesellschaft als anders zu repräsentieren, gleich wieder vereinnahmt wird. Indem ich für dieses Anderssein, ob jetzt als Feministin, als Schwuler, als Transsexueller oder auch als Plattenspieler oder Pophörer eine Repräsentation suche, steige ich gleich wieder in den herrschenden Diskurs mit ein, und ich steige nicht nur mit ein, denn das ist ja nichts Schlimmes, sondern ich werde davon vereinnahmt. Das heißt …

Meinecke: Du machst dir die Illusion, dass es das gäbe, sich nicht vereinnahmen zu lassen, wenn man irgendwie so eine Schraubendrehung weiter gelangt ist.

Witzel: Sagen wir so: Im Bewusstsein dieses Denkvorgangs kann ich überhaupt nicht in diese politischen Fallgruben tappen wie etwa die Grünen. Oder wie es etwa mit so einer Aussage geschieht: „Es ist toll, wir haben einen schwulen Bürgermeister. Was haben wir erreicht.“ Ich wage das eben zu bezweifeln.

Meinecke: Na ja, der eine schwule Bürgermeister ist in der CDU. Und der andere in der SPD. Das ist nicht der Punkt dabei …

Witzel: Ich bin nur auf den Artikel von Klaus eingegangen, dass immer erwähnt wird, wie es weitergegangen ist, aber ich halte das für eine Illusion, die doch an Fischer am deutlichsten wird, dass dort jemand sitzt, wo du genau merkst, dass dieser Anzug, zu dem er mittlerweile auch die passenden Schuhe trägt, nicht nur ein äußerliches Signum ist, sondern das Zeichen, dass er wirklich dort angekommen ist. Aber was soll das? Warum willst du da überhaupt ankommen?

Meinecke: Ich halte ihn jedenfalls besser aus, seit die Schuhe zum Anzug passen. Vorher fand ich das einen ganz entsetzlichen Krampf. Ich meine, das ist nicht my man, ich wähl den nicht, aber ich finde den im gewissen Sinne jetzt stimmig.

Witzel: Aber stimmig auf der anderen Seite.

Meinecke: Auf der anderen Seite. Absolut auf der Gegenseite. Aber ich habe ein gewisses Faible für Leute, die auch das performativ vollziehen, was sie eh sind und mir nicht auch noch vorgaukeln wollen …

Walter: Dass sie noch mit einem Turnschuh auf unserer Seite stehen. Mir ist es auch wichtig, kein Wir zu insinuieren, das sich mit dem gemein macht.

Witzel: Aber wenn ich da gerade noch mal auf diesen angeblichen Luxus zurückkommen darf, sich mit Theorien zu beschäftigen. Ist das nicht mehr als Luxus? Ich mache das auf der einen Seite natürlich, weil es mich einfach packt, auf der anderen Seite halte ich das für die entscheidende politische Arbeit. Es wird immer davon geredet, was politische Arbeit ist, in der Partei sein und so weiter, aber das glaube ich nicht.

Meinecke: Das habe ich auch nicht gesagt.

Witzel: Das sage ich auch nicht. Aber was ist die Alternative? Durch was ersetzt man die Hoffnung, die man seinerzeit meinetwegen auf irgendeine Revolutionäre Zelle gesetzt hat? Für mich würde ich schon sagen, dass es die theoretisch-philosophische Beschäftigung ist, aber nicht als irgendeine Flucht, sondern weil ich merke: Warum passieren denn immer dieselben Fehler? Warum passiert das denn, dass eine Partei wie die Grünen mit etwas anfängt, das man noch unterschreiben kann, und dann – obwohl mir das schon immer suspekt war mit den Grünen. Von meinem politischen Verständnis her war das doch als politischer Oberbegriff höchst suspekt.

Meinecke: Das war ein entideologisierender Ansatz, den ich nie begrüßt habe, das Ganze unter ökologischen Gesichtspunkten zusammenfassen zu wollen und einen Gemeinschaftsbegriff zu konstruieren, der gar nicht existierte, der den Klassenkampf zu früh unter den Tisch fallen gelassen hat. Trotzdem habe ich nie an die Revolution geglaubt. Ich habe das immer als ästhetisches Ding gesehen. Mein Widerwillen gegen die Grünen war auch immer …

Witzel: Ein ästhetischer. Bei mir auch.

Walter: Ich würde mal zwei Begriffe aufnehmen: den Luxus und den Klassenkampf. Beide sind eng miteinander verknüpft. Es ist bestimmt kein Zufall, dass ich jetzt wieder was mache, was ich vielleicht vor 15 Jahren unter anderen Bedingungen gemacht habe. Und das liegt daran, dass ich sehe, ich kann mir den Luxus nicht mehr so richtig leisten. Dass so was wie der Begriff Klassenkampf völlig aus dem Diskurs draußen ist, dass es aber so was wie Klassenkampf von oben gerade wieder gibt, etwas pathetisch gesprochen. Die Rhetorik ist eben auch ausgeleiert, sowas zu sagen: Klassenkampf von oben. Aber es gibt ihn nun mal. Ich lebe nicht in Armut, aber es rückt näher.

Witzel: Wir haben ständig diese Hemmungen, zu sagen: „Revolution“. Lohnraub zum Beispiel, ein Wort, das früher gang und gäbe war, heute, wenn man es mit den siebziger Jahren vergleicht, findet das jeden Tag in ungeheurem Maße statt: „Wollt ihr fünfzig Stunden arbeiten oder eine Woche weniger Urlaub? Für einen der beiden Heuhaufen müsst ihr euch entscheiden.“

Meinecke: Aber wenn du jetzt selber so redest, dann machst du doch auch diese Schere auf zwischen dem, was einerseits noch zu leisten wäre, und dem Luxus der theoretischen Beschäftigung, die natürlich auch immer wieder in den realen Verhältnissen endet. Und wenn ich sage „Luxus“, dann ist das auch immer noch bisschen ein schlechtes Gewissen, weil ich meine, dass diese Erkenntnisse über Prozesse, die so nun mal ablaufen, nicht automatisch zu einer Verbesserung der Welt führen, die Verhältnisse aber andererseits durch Interventionen wie Auf-die-Straße-Gehen und Autos-Zerdeppern auch gar nicht wirklich aus dem Ruder geraten, sondern nur mal kurz gestört werden, aber nicht verändert. Da bin ich ganz schön desillusioniert und glaube eher, im Stübchen oder im Shtibl, im Sinne des jüdischen Lesens von Verhältnissen, weiterzukommen, ohne aber die Leute, die wirklich beschissen dran sind, über kurze Frist befreien, sag ich mal pathetisch, zu können. Woran viele Befreiungsbewegungen früher noch glaubten. Aber die Armen sind uns heute abhanden gekommen. Die sind so betäubt, dass sie sich noch nicht mal was erzählen lassen wollen. Auch deine Abende finden ja unter Privilegierten statt.

Walter: Aber deren Privilegien sind heute andere als vor 10 oder erst recht als vor 20 Jahren. Wenn ich unter Freunden und Bekannten, die in ihren Zwanzigern sind, höre, wie die ihr Überleben finanzieren müssen, dann ist das ganz anders als wir damals, Wohnsituation – das hat sich alles geändert.

Meinecke: Das kulturschaffende Proletariat ist das Vorbild, das ist auch das Ironische, für die Flexibilisierung, die immer eingefordert wird. Wir haben das vorgemacht, als komische selbstausbeuterische Ich-AG. Deshalb ist ja auch die ganze Kreativitäts- und Schrägohuberei in offiziellen Wirtschaftskreisen, bis hin zu schreienden Managern irgendwo in der Toskana, genau von uns abgeguckt.

Walter: Deswegen funktionieren natürlich Lohnraub und Ausgrenzung und Klassenkampf von oben unter einem schwulen Bürgermeister noch viel besser.

Meinecke: Und trotzdem ist es eine Verschlimmbesserung, die okay ist.