Gekreuzigt auf ewig

Zerrissen zwischen Autorität und Fürsorge: Alexander Sokurows „Vater und Sohn“ im Metropolis

von Tim Gallwitz

Schwere Atemzüge überlagern den Vorspann, dann Bewegungen verschlungener Körper im Halbdunkel – in Sex oder Kampf verstrickt. Es sind ein noch junger Vater und sein fast erwachsener Sohn. Sie könnten beinahe Brüder sein. Der Vater hält den Sohn, und dieser träumt von seinem zukünftigen Leben, von Angst davor und Freude darauf geschüttelt.

Väter und Söhne: Beziehungen voll von Liebe und Gewalt, Angst, Trennung und Abwesenheit, ein stetiges Ringen um Respekt, Autorität, Identität und Fürsorge. Es ist ein großes Fass, das Alexander Sokurow mit seiner bildbetonten, von narrativer Schwerkraft losgelösten Filmlyrik aufmacht.

„Die Welt dieses Films ist eine künstlerische Bildwelt. Diese Welt darf die reale Welt nicht kopieren“, erklärt der Regisseur. Und in der Tat ist Sokurows Film Vater und Sohn Leinwand im Wortsinne. Er „malt“ seine Filmbilder zweidimensional. Die Weichheit der Bilder, das gedimmte Licht und die gedämpften Farben lassen an Traumbilder denken, zumindest an die uns visuell anerzogene Vorstellung dessen, wie Traumbilder so auszusehen haben.

Das Geschehen spielt an einem nicht genau definierten Ort, zu einer nicht exakt bestimmten Zeit. Die Mutter des Sohnes ist tot. Er besucht die Militärakademie und steht vor dem Aufbruch in sein eigenes Leben. Die Geborgenheit beim Vater auf der einen, die Lust auf erste Liebe, Beruf und Freunde auf der anderen Seite widerstreiten. Der Körper seines Vaters bedeutet ihm Schutz und Bedrohung zugleich, ist Objekt von Bewunderung und Angst. Und die Träume und die Zukunft des Sohnes sind Quell der Verlorenheit des Vaters, seiner Furcht vor Verlust und Verlassensein. In diesen Vater-Sohn-Kosmos sprengselt Sokurow hier etwas Gott und Jesus, dort ein wenig Gleichnis vom verlorenen Sohn. In seiner Lesart ist nicht der Sohn der Verlorene, sondern der zurückbleibende Vater, und die Liebe eines Vaters kreuzigt den Sohn, der dies am besten treu in Kauf nimmt.

Sokurow, sowohl Kurz-, Dokumentar- als auch Spielfilmer, ist 2003 mit Russian Ark, einer neunzigminütigen Kamerafahrt durch die Eremitage in St. Petersburg, einem breiten Publikum bekannt geworden. Neulich hat er auf der Berlinale den dritten Teil seiner geplanten Tetralogie über Tyrannen des 20. Jahrhunderts vorgestellt. Nach Hitler und Lenin war in Solnze (Die Sonne) der japanische Kaiser Hirohito Gegenstand seiner Betrachtung.

Vater und Sohn wiederum ist der Mittelteil einer Trilogie über das Drama menschlicher Beziehungen, die er 1997 mit Mutter und Sohn begann und mit Zwei Brüder und eine Schwester komplettieren will. Sokurow, der sein Sujet symbolisch und mythisch, nicht psychologisch und realistisch buchstabiert, hat in Vater und Sohn einen filmischen Ort geschaffen, der im Norden und im Süden liegt, an dem es kühl und warm zugleich ist. Auch die Ausstattung und Requisiten lassen keine genaue Zuordnung zu. Es ist eine eigenartig hermetische Welt, zuweilen von Tschaikowsky untermalt, entstanden in Lissabon und St. Petersburg. Unverkennbar ist dabei die künstlerische Verwandtschaft mit dem Kino Andrej Tarkowskis. Tarkowskis Fürsprache verdankt Sokurow auch die Lockerung eines etwa zehnjährigen Verbots seiner Filme.

Vater und Sohn erhielt 2003 in Cannes den FIPRESCI-Preis der internationalen Filmkritik. Als ihn dort Filmkritiker auf die auch eingangs erwähnte latente Homoerotik seines Films ansprachen, entrüstete sich Sokurow über deren „westliche Dekadenz“.

Do, 10.3., 21.15 Uhr, Metropolis